Bulldozer zerstören Lebensgrundlage
Von Gerrit Hoekman
Bisher haben israelische Siedler und Soldaten in der besetzten Westbank vor allem Olivenbäume gefällt oder Bauern an der Ernte gehindert. Nun machten israelische Soldaten in Al-Khalil (Hebron) auch eine Anlage zur Vermehrung von Saatgut dem Erdboden gleich. Das teilte die palästinensische Union of Agricultural Work Committees (UAWC) in einer Presseerklärung mit, die unter anderem von La Via Campesina verbreitet wurde, einer weltweiten Bewegung von Bauern, Kleinbauern und landlosen Arbeitern, bei der auch die UAWC Mitglied ist.
»In einer gravierenden Eskalation ihres Angriffs auf die palästinensische Agrarsouveränität haben israelische Streitkräfte heute morgen einen gewaltsamen Überfall auf die Saatgutvermehrungsanlage der Saatgutbank der UAWC durchgeführt«, hieß es am Donnerstag in einer Presseerklärung der NGO. Die israelische Armee sei ohne Vorwarnung mit Bulldozern angerückt und habe die Lagerhäuser, in denen sich das Saatgut und wichtige Ausrüstung für die Vermehrung einheimischer Saatgutsorten befanden, zerstört, so die UAWC. Das stelle »einen direkten Schlag gegen die Bemühungen der Palästinenser dar, die lokale Biodiversität zu erhalten und die Nahrungssouveränität zu sichern«.
Israels Absicht ist eindeutig: Den palästinensischen Bauern soll eine Grundlage ihrer Arbeit genommen werden, indem ihnen die Beschaffung von Saatgut erschwert oder sogar unmöglich gemacht wird – ein weiterer Schritt hin zur Vertreibung der Palästinenser von ihrem angestammten Grund und Boden. »Die Saatgutbank ist eine der wichtigsten palästinensischen Initiativen zur Erhaltung und zum Schutz des genetischen Erbes, insbesondere von einheimischem Saatgut als kulturellem Erbe«, erklärte der Direktor der UAWC, Fuad Abu Seif, am Sonnabend gegenüber der Agentur Anadolu die Bedeutung der Einrichtung. Sie sichere außerdem die Fähigkeit der Palästinenser zur Selbstversorgung.
Die 2010 gegründete Saatgutbank in Al-Khalil war die einzige in der Westbank. Sie enthielt mehr als 70 Sorten, von denen ein Großteil nirgendwo sonst noch im Westjordanland zu finden ist. Viele Länder der Welt unterhalten eigene Banken. Auf dem norwegischen Archipel Spitzbergen befindet sich seit 2007 außerdem der Svalbard Global Seed Vault, der Saatguttresor des Welttreuhandfonds für Kulturpflanzenvielfalt. Die Samen von mehreren hunderttausend Pflanzen lagern dort hinter einer schweren Eisentür. Im besten Falle für die Ewigkeit.
Die UAWC wurde 1986 von palästinensischen Agrarwissenschaftlern gegründet. Sie ist eine der ältesten NGOs in Palästina und Israel seit langem ein Dorn im Auge. Die Regierung unterstellt ihr, eine Vorfeldorganisation der marxistischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) zu sein, die in Israel, den USA und der EU als Terrororganisation geführt wird. 2021 wurde die UAWC zusammen mit fünf anderen NGOs verboten. Der UNO und mehreren europäischen Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande, reichten die von Israel vorgelegten Indizien nicht aus, um eine enge Verbindung zur PFLP zu belegen. Sie setzten die finanzielle Hilfe für die UAWC fort. Am 18. August 2022 stürmte die israelische Armee dennoch die Büros der sechs verdächtigten NGOs, schloss sie und konfiszierte sämtliches Equipment.
La Via Campesina verurteilte am Montag die Zerstörung der Saatgutbank. »Dieser Angriff ist kein Einzelfall. Es ist der zweite direkte Angriff auf die UAWC in den vergangenen Jahren und Teil einer umfassenderen kolonialen Strategie, palästinensische Gemeinschaften zu entwurzeln, indigene Bauern zu vertreiben und jede Form der Selbstbestimmung zu unterdrücken«, heißt es auf der Homepage der NGO. »Er ist Ausdruck eines umfassenderen Apartheids- und Kolonialregimes, das auf Herrschaft, Vertreibung und ökologischer Zerstörung basiert.« Die deutsche »Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft« (AbL) nahm die Berichte von der Zerstörung der Saatgutbank am Montag zum Anlass, einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza und ein Ende aller Waffenlieferungen an Israel zu fordern.
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