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Aus: Ausgabe vom 05.08.2025, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Kettenhund prescht vor

Provokation am Felsendom: Israels Polizeiminister betet und ruft zu Annexion von Tempelberg und Gazastreifen auf. Militärs appellieren an US-Präsident
Von Knut Mellenthin
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Itamar Ben-Gvir am Sonntag auf dem Tempelberg in Jerusalem

Der Führer der extrem rechten israelischen Partei »Jüdische Stärke«, Itamar Ben-Gvir, hat am Sonntag mit einem Auftritt auf dem Tempelberg in Jerusalem wieder einmal für Aufregung gesorgt. Scharf protestiert haben nicht nur die Palästinensische Nationalbehörde, Jordanien, Saudi-Arabien, Iran und andere islamische Staaten – auch in der israelischen Innenpolitik schlagen die Wellen hoch. Premierminister Benjamin Netanjahu beeilte sich, eine offizielle Stellungnahme seines Büros veröffentlichen zu lassen, dass es keine Änderung des Status auf dem Tempelberg gebe und auch keine beabsichtigt sei.

Außenpolitisch dringend geboten ist diese Klarstellung allemal. Denn Ben-Gvir, der in Netanjahus Regierung als Minister für nationale Sicherheit mit auf ihn persönlich zugeschnittenen, außergewöhnlich weitreichenden, aber nicht präzise formulierten Vollmachten amtiert, strebt erklärtermaßen eine Änderung der Verhältnisse auf dem Tempelberg an, die 1967 unmittelbar nach dem Junikrieg festgelegt worden waren. Diese Regeln betreffen in erster Linie die oberste Ebene des Hügels, auf dem sich die Aksa-Moschee und der islamische Felsendom befinden. Die religiöse Autorität übt dort die jordanische Religionsbehörde Wakf aus. Die Zugänge werden aber von der israelischen Polizei und Grenzpolizei kontrolliert. Nichtmuslime können das Gelände um die islamischen Heiligtümer zwar zu bestimmten Zeiten besuchen, dürfen dort jedoch nicht beten.

Ben-Gvir hat den Tempelberg zwar schon oft betreten und damit Proteste hervorgerufen. Aber er war am Sonntag der erste israelische Politiker, der sich offen und ausdrücklich über die bestehenden Regelungen hinwegsetzte, indem er vor Hunderten Juden, die mit ihm zusammen auf das Areal gekommen waren, laut das Gebet »Amida« rezitierte, das im jüdischen Gottesdienst eine zentrale Stellung einnimmt. Die israelische Polizei hat in der Vergangenheit schon oft eingegriffen, wenn Juden oder andere Nichtmuslime in diesem Bereich erkennbar beteten. Bei Ben-Gvir, der von einer Eskorte begleitet wurde, blieb sie untätig.

Der Minister hatte sich für seinen spektakulären Auftritt das Trauerfest Tischa B’Aw ausgesucht, bei dem an die Zerstörung der beiden Tempel erinnert wird, die vor Jahrhunderten auf diesem Gelände gestanden haben sollen, bevor sie zerstört wurden. Historisch und archäologisch gesichert ist das allerdings nur für den zweiten Tempel. Vor dem Felsendom stehend, hielt Ben-Gvir nach dem Gebet eine Ansprache, in der er die Durchsetzung der israelischen »Souveränität und Regierungsherrschaft« auf dem Tempelberg und im gesamten Gazastreifen beanspruchte und dazu aufrief, »die freiwillige Auswanderung« von dessen Bewohnern zu »ermutigen«.

Ebenfalls am Sonntag, aber unabhängig von Ben-Gvirs Provokation und ohne Bezug darauf, gingen prominente israelische Militärs mit einem Brief an US-Präsident Donald Trump an die Öffentlichkeit, in dem sie ihn aufrufen, den Gazakrieg zu beenden. Seine »Glaubwürdigkeit bei der großen Mehrheit der Israelis« verstärke seine Fähigkeit, Netanjahu und die von ihm geführte Regierung »in die richtige Richtung zu steuern«, »die Geiseln zurückzuholen, das Leiden zu beenden und eine regional-internationale Koalition zu schmieden, die der palästinensischen Regierungsbehörde hilft, den Bewohnern Gazas und allen Palästinensern eine Alternative zur Hamas und ihrer bösartigen Ideologie zu bieten«.

Der Brief ist auf den ersten Plätzen unterschrieben vom früheren Generalstabschef Matan Vilnai, von Ami Ajalon, ehemals Leiter des Inlandgeheimdienstes Schin Bet, Tamir Pardo, Exchef des Auslandsgeheimdienstes Mossad, von einem ehemaligen Polizeidirektor und dem langjährigen Diplomaten Jeremy Issacharoff, der zuletzt von März 2020 bis April 2022 israelischer Botschafter in der BRD war. Die Unterzeichner stehen für mehr als 600 frühere hochrangige Militärs, die gemeinsam unter der Bezeichnung »Commanders for Israel’s Security« (CIS) als Kritiker des Regierungskurses auftreten.

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