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Aus: Ausgabe vom 05.08.2025, Seite 6 / Ausland
Algerien

Kulturkampf um Nymphe

Algerien: Hohe Strafe für Beschädigung eines denkmalgeschützten Brunnens aus der Kolonialzeit in der Stadt Sétif
Von Sabine Kebir
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Kulturgut oder Provokation? Die meisten Einwohner von Sétif wollen von dem Monument nicht lassen (31.10.2022)

Ganze zehn Jahre Haft sind es geworden: Am Donnerstag hat ein Gericht im algerischen Sétif einen Mann verurteilt, der wenige Tage zuvor mit einem Hammer auf eine Marmorfigur eingeschlagen hatte. Die beschädigte Statue einer nackten Frau schmückt den Brunnen Ain El Fouara im Zentrum der Stadt. Die Strafe fiel deshalb so hoch aus, weil derselbe Mann 2018 schon einmal versucht hatte, die Skulptur zu zerstören, und dafür bereits eine Haftstrafe abgesessen hat.

Dass ein Frauenkörper weitestgehend bedeckt sein müsse, steht für viele gläubige Muslime fest. Daher sollte die von dem französischen Bildhauer Francis de Saint-Vidal geschaffene und von der Kolonialverwaltung 1898 aufgestellte Nymphe vielleicht tatsächlich eine Provokation für die Einheimischen darstellen. Zumal ihre Pose als ziemlich aufreizend empfunden werden kann und der Brunnen über einer als heilig geltenden Quelle errichtet wurde. Dass die Skulptur von vielen Bürgern Sétifs doch angenommen worden war, zeigte sich daran, dass sie nach der Unabhängigkeit 35 Jahre lang keinerlei Anfechtungen ausgesetzt war.

Dabei ist die Stadt für ein historisches Ereignis bekannt, das für den Unabhängigkeitskampf gegen Frankreich entscheidend war. Als am 8. Mai 1945 weltweit das Ende des Zweiten Weltkriegs gefeiert wurde, kam es in Sétif zu einer mächtigen Demonstration, um die Freilassung politischer Häftlinge und die Demokratisierung des Parteienwesens zu fordern, was die Kolonialmacht im Gegenzug für die Teilnahme vieler Algerier am Kampf gegen Nazideutschland auch versprochen hatte. Da die Demonstration zusammengeschossen wurde und in darauf folgenden Unruhen 45.000 Algerier starben, wurde offenbar, dass es keine politische Lösung innerhalb des Kolonialsystems geben würde.

Mit dem Erstarken des Islamismus änderte sich die Wahrnehmung des Ain-Fouara-Brunnens. Am 22. April 1997, während der Bürgerkrieg tobte, wurde er durch eine Sprengladung Dynamit auseinandergerissen. Trotz der Wucht der Zerstörung schaffte es die kommunale Verwaltung, ihn innerhalb von 24 Stunden wiederherzustellen, und es war ein Zeichen energischen Widerstands aus der Breite der Gesellschaft, dass die Wiedereinweihung des Brunnens zu einem eindrucksvollen Volksfest wurde. Mehr als 6.000 Menschen kamen zusammen – und das, obwohl sie sich damit zur Zielscheibe der bewaffneten Gruppen machten. Rednerinnen und Redner stellten Parallelen her zwischen der Verletzung der steinernen Frau und den islamistischen Terrorakten, denen ja auch viele Frauen und Mädchen zum Opfer gefallen waren. Sogar verschleierte Frauen erklärten, dass sie keine Probleme hätten, »vom heiligen Wasser zu trinken, auch wenn es aus den Händen einer Nymphe fließt«.

Der künstlerisch wertvolle Brunnen wurde 1999 zum nationalen Kulturerbe erklärt, blieb aber Objekt des Kulturkampfs. 2006 ging ein Drogensüchtiger mit einem Hammer auf die Skulptur los. Im Dezember 2017 wurden Gesicht und Busen der Nymphe zerschlagen. Nach aufwendiger Restauration wurde der Brunnen am 5. August 2018 vom damaligen Kulturminister Azzedine Mihoubi und dem Gouverneur der Wilaya Sétif der Öffentlichkeit übergeben. Doch schon zwei Monate später, am 9. Oktober, erlitt die Skulptur erneut schwere Schäden. Und am 2. Dezember 2022 wurde sie von randalierenden Fußballfans mit Steinen beworfen.

Um das Kunstwerk zu schützen, aber als öffentliches Ärgernis auszuschalten, beantragte ein Abgeordneter der islamistischen Partei Mouvement Sociale pour la Paix (MSP) im September 2023, es in ein Museum zu verfrachten. Ein ausgestellter nackter Körper provoziere die konservative algerische Gesellschaft, zumal er ausgerechnet gegenüber einer der bedeutendsten Moscheen Sétifs stehe. Kulturministerin Soraya Mouloudji lehnte das Anliegen mit Hinweis auf den Denkmalschutz ab.

Um die Restaurierung der Nymphe zu finanzieren, wurde ihr aktueller Angreifer auch zu einer empfindlichen Geldbuße verurteilt. Ob die hohe Strafe allerdings Hitzköpfe künftig von Attacken abhält, bleibt abzuwarten.

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