Sicherheit und Abschreckung
Von Arnold Schölzel
Am 11. Juni veröffentlichten die SPD-Friedenskreise ein »Manifest« unter dem Titel »Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung«. Es beruft sich auf die Prinzipien der Außenpolitik John F. Kennedys, Willy Brandts und Egon Bahrs im Kalten Krieg. Die Unterzeichnung der Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) am 1. August vor 50 Jahren in Helsinki wird darin als ein »Höhepunkt dieses Zusammendenkens von Verteidigungs- und Abrüstungspolitik, das in Europa jahrzehntelang Frieden gesichert hat und schließlich auch die deutsche Einheit ermöglichte« bezeichnet. Ein Kernsatz lautet: »Wir sind davon überzeugt, dass das Konzept der gemeinsamen Sicherheit der einzige verantwortungsbewusste Weg ist, über alle ideologischen Unterschiede und Interessengegensätze hinweg Krieg durch Konfrontation und Hochrüstung zu verhindern.«
Da die Mehrheit der deutschen Medien spätestens seit 2022 Journalismus durch Propaganda für »Zeitenwende« und »Kriegstüchtigkeit« ersetzt hat, fiel das Echo auf das Papier dort entsprechend aus: »kremlnah«, »realitätsfern«, »blauäugig«. Verteidigungsminister Boris Pistorius bescheinigte seinen Genossen »Realitätsverweigerung«. Auf dem SPD-Parteitag Ende Juni fiel aber die von ihm angekündigte Kontroverse aus.
Am Freitag meldete sich nun einer der »Manifest«-Autoren, der Bremer SPD-Politiker Arno Gottschalk, in der Berliner Zeitung unter der Überschrift »In der Tradition des Kalten Krieges« zu Wort. Das bezog sich auf einen Text von Brigadegeneral a. D. Klaus Wittmann, der am 1. Juli in derselben Zeitung online erschienen war. Wittmann hatte geschrieben, »dass zunächst wieder Sicherheit vor Russland im Vordergrund steht, hat Putin zu verantworten«. Das »Manifest« reihe sich »mit der Absage an ›militärische Alarmrhetorik‹ ein in die Phalanx anderer Verharmloser«. Sahra Wagenknecht, Harald Kujat, Erich Vad, Johannes Varwick sowie Michael Rühle. Damit waren die Hassfiguren der (west-)deutschen »Russland bleibt immer Deutschlands Feind« (Johann Wadephul)-Fraktion ziemlich komplett.
Gottschalk geht darauf nicht ein, sondern erläutert in acht Punkten einen Grundgedanken des »Manifests«: »Sicherheit ist mehr als militärische Abschreckung«. Sie sei »ein Beziehungsgefüge, das durch militärische Fähigkeiten geschützt, aber nicht erzeugt wird. Sie entsteht durch Resilienz, wirtschaftliche Stabilität, gesellschaftlichen Zusammenhalt, diplomatische Netzwerke und internationale Institutionen.«
Gegen das »Sicherheit vor Russland«-Argument setzt Gottschalk daher: »Allein aus der Rüstungsplanung Moskaus eine strukturelle Bedrohung abzuleiten, die ihrerseits eine expansive Aufrüstung im Westen legitimiert, ist eine Form der Antizipationslogik, die sich selbst immer weiter antreibt.« Abschreckung dürfe aber »nicht zur Aufrüstungsspirale werden«. Im übrigen: Verhandlungen seien kein Akt der Kapitulation. Wer Eskalation vermeiden wolle, müsse auch westliche Auslöser benennen dürfen. Die Fünf-Prozent-Marke der NATO sei eine »überzogene und unsinnige Zielmarke«.
Gottschalks Argumentation mündet in die These, Friedenspolitik bedeute, über den Tag hinaus zu denken. Konkret: »Das Manifest plädiert für ein Europa, das Sicherheit wieder kooperativ denkt. Das heißt nicht auf Russland zuzugehen, während Raketen auf ukrainische Städte fallen. Es heißt: Bereitschaft zur strategischen Vision zu entwickeln, wie Europa nach diesem Krieg aussehen soll.«
Das war mit John F. Kennedy, Willy Brandt oder Helmut Schmidt machbar. Mit Trump, Merz und Klingbeil? Bis Freitag standen unter dem »Manifest« rund 17.800 Unterschriften.
Das war offenbar mit John F. Kennedy, Willy Brandt oder Helmut Schmidt machbar. Mit Trump, Merz und Klingbeil?
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