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Aus: Ausgabe vom 20.06.2025, Seite 3 / Inland
SPD-Manifest

Ein Auftakt

Das »Manifest« aus SPD-Friedenskreisen hat erhebliche positive Resonanz
Von Arnold Schölzel
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Mit neuer Kraft aus unerwarteter Ecke? Die Friedensbewegung könnte neuen Schub gebrauchen

Am 11. Juni veröffentlichten etwa 100 SPD-Mitglieder ein »Manifest« unter dem Titel »Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung«. Unter den ersten Unterzeichnern sind mehrere frühere Bundes- und Landesminister wie Norbert Walter-Borjans, Gernot Erler, Klaus von Dohnanyi, Matthias Platzeck, Reinhard Klimmt, Hans Eichel, Carsten Sieling und Julian Nida-Rümelin. Von den gegenwärtigen SPD-Bundestagsabgeordneten sind Ralf Stegner, Rolf Mützenich, Nina Scheer, Maja Wallstein und Sanae Abdi dabei. Unterschrieben hat auch der Ehrenpräsident des Club of Rome Ernst Ulrich von Weizsäcker.

Die Autoren fordern in dem Papier in drei Punkten eine andere Politik gegenüber Russland: Weniger Rüstung im Westen bei »Herstellung einer eigenständigen Verteidigungsfähigkeit der europäischen Staaten unabhängig von den USA«, Verhandlungen über Abrüstung in Europa sowie »keine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland«. Leitende Idee ist eine erstmals von der Sowjetunion in den 30er Jahren vorgeschlagene Idee. Die Verfasser schreiben: »Wir sind davon überzeugt, dass das Konzept der gemeinsamen Sicherheit der einzige verantwortungsbewusste Weg ist, über alle ideologischen Unterschiede und Interessengegensätze hinweg Krieg durch Konfrontation und Hochrüstung zu verhindern.« John F. Kennedy und Willy Brandt hätten in den 60er Jahren »die richtigen Konsequenzen aus der in der Kuba-Krise offensichtlich gewordenen gefährlichen Perspektivlosigkeit« der »Rüstungsspirale« gezogen und an die Stelle von Konfrontation und Hochrüstung »Gespräche und Verhandlungen über Sicherheit durch Kooperation, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung« gesetzt. Höhepunkt sei die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) am 1. August vor 50 Jahren gewesen.

Vehemente Ablehnung

In der Tat liegen dem »Manifest« ähnliche Vorstellungen wie der von Willy Brandt und Egon Bahr in den 60er Jahren entworfenen »Neuen Ostpolitik« zugrunde. Bahr hatte das Konzept 1963 auf die Formel »Wandel durch Annäherung« gebracht. Vehement ablehnende Reaktionen vor allem aus konservativen Kreisen ähnelten damals den heutigen, gegenwärtig kommen allerdings Bellizisten in der SPD und in Bündnis 90/Die Grünen hinzu. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius diagnostizierte »Realitätsverweigerung«, Russland wolle keinen Frieden. Die grüne Fraktionsvizechefin Agnieszka Brugger erklärte gegenüber AFP, der Aufruf zu Abrüstung und Dialog mit Russland sei »leider Wunschdenken, denn ein solcher Kurs führt leider gerade nicht dazu, dass ein skrupelloser Imperialist die Gewalt beendet«. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) reagierte indirekt mit: »Russland ist eine Bedrohung für die Sicherheit der gesamten NATO.« Deswegen sei eine langfristige Aufrüstung nötig.

Friedensbewegung belebt

Zustimmung kam aus der Partei Die Linke, dem BSW und der AfD. Der Linke-Kovorsitzende Jan van Aken stellte sich in der ZDF-Sendung »Markus Lanz« am 12. Juni hinter die Forderungen des »Manifests«: Es sei »nie falsch, auch mal 50 Jahre nach vorne zu denken.« Dass vertrauensbildende Maßnahmen »jetzt noch gar nicht denkbar« seien, wisse »ein Mützenich von der SPD genauso wie ich«. Zugleich räumte er ein, dass man amerikanische Raketen »mit guten Gründen« auf deutschem Boden stationieren könne. Auch Russland lagere Mittelstreckenraketen in Kaliningrad. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht schlug den »Manifest«-Autoren in den Medien der Funke-Gruppe vor: »Es wäre gut, wenn alle Kräfte in Deutschland, die den Kriegskurs von Merz und Klingbeil für brandgefährlich halten, jetzt ohne Vorbehalte zusammenarbeiten und sich gemeinsam um die Reaktivierung einer starken Friedensbewegung bemühen.« Das BSW sei »zu einer solchen Zusammenarbeit gern bereit«. Der außenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Markus Frohnmaier, sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von einem »Schritt in die richtige Richtung – nämlich auf den außenpolitischen Kurs der AfD zu«.

Fest steht, dass das »Manifest« in der deutschen Bevölkerung und nicht zuletzt in der SPD erhebliche positive Resonanz ausgelöst hat. Trotz der massiven Verunglimpfung des Papiers ergab eine am 16. Juni erhobene Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA: 38 Prozent der Befragten fanden das »Manifest« gut, ebenso viele schlecht, 24 Prozent machten keine Angaben. Nach Parteianhängerschaft unterstützen es Sympathisanten des BSW (55 Prozent), der Partei Die Linke (54 Prozent) sowie der SPD und der AfD (jeweils 45 Prozent). Den höchsten ablehnenden Wert gab es bei Anhängern von Bündnis 90/Die Grünen (54 Prozent) vor CDU/CSU und FDP (jeweils 48 Prozent). Die Altersgruppen unter 60 Jahren erklärten sich jeweils mehrheitlich für das Papier, die über 60jährigen überwiegend dagegen.

Am Donnerstag hatten mehr als 13.300 Menschen das »Manifest« auf der Plattform openpetition.de unterzeichnet. Es kann ein Auftakt für einen aktiven Kern der Friedensbewegung sein.

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