Maßnahmen bleiben folgenlos
Von David Siegmund-Schultze
Bereits im Februar 2024 bezeichnete Brasiliens Präsident Lula da Silva Israels Gazakrieg als Genozid. Eine Einschätzung, die er seitdem mehrfach wiederholte, zuletzt beim BRICS-Gipfel in Brasília Anfang Juli: »Wir können nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem Völkermord, den Israel in Gaza begeht, der wahllosen Tötung unschuldiger Zivilisten und dem Einsatz von Hunger als Kriegswaffe.« Am Mittwoch (Ortszeit) hat Brasiliens Außenministerium nun angekündigt, dass sich das Land der Genozidklage Südafrikas gegen Tel Aviv vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag anschließen wird. Die brasilianisch-israelische Lobbyorganisation Conib erklärte umgehend: »Die Aufkündigung der langjährigen Freundschaft und Partnerschaft Brasiliens mit Israel ist ein falscher Schritt, der den Extremismus unserer Außenpolitik beweist.«
Am Montag hatte Lula an dem Treffen »Democracia siempre« (Immer Demokratie) in Chiles Hauptstadt Santiago teilgenommen – neben den Staatschefs von Kolumbien, Uruguay, Spanien und Chile. Auch hier äußerten jene Regierungen, was inzwischen nahezu weltweiter Konsens ist: Kritik an Tel Avivs Kriegführung in Gaza, die Forderung nach unbeschränkten Hilfslieferungen in den Küstenstreifen und nach einer sofortigen Waffenruhe.
Der Gipfel der von Südafrika und Kolumbien angeführten »Haager Gruppe« in Bogotá eine Woche zuvor hatte sich zum Ziel gesetzt, über diese bloß rhetorische Ebene hinauszugehen – und konkrete Maßnahmen zu beschließen, um Benjamin Netanjahus Regierung unter Druck zu setzen. Das Ergebnis: Die Unterzeichnerstaaten verpflichteten sich, den Export jeglicher militärischer und militärisch nutzbarer Güter – etwa auch Treibstoff – an Tel Aviv einzustellen, ihre Häfen für den Transport jener Waren zu schließen und alle öffentlichen Verträge mit Israel zu überprüfen. Außerdem sagten sie zu, ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung nachzukommen und die juristische Verfolgung israelischer Kriegsverbrechen auf nationaler und internationaler Ebene zu unterstützen. Doch: Die zwölf Unterzeichnerstaaten lieferten auch zuvor schon keine Waffen an Tel Aviv und handelten nur in geringem Umfang mit dem Land. Und Brasilien, Chile und Spanien oder Staaten wie Ägypten und China waren in Bogotá zwar als Beobachter vertreten, unterzeichneten den Maßnahmenkatalog aber nicht.
Angesichts der sukzessiven Eskalation des genozidalen Kriegs in Gaza und der jüngst durch die Knesset abgesegneten Annexion der Westbank – trotz der zunehmenden internationalen Isolation Israels – stellt sich die Frage nach der Wirksamkeit all dieser Aktionen. Denn selbst relativ einflussreiche Staaten, die Maßnahmen gegen Tel Aviv angekündigt haben, wollen oder können diese nicht umsetzen. So hatte Spanien mehrfach erklärt, es werde seine Häfen für Waffentransporte nach Israel schließen. Einer Stellungnahme der spanischen Basisgewerkschaft CGT vom April zufolge werden die Häfen in Barcelona, Valencia und vor allem Algeciras aber noch immer regelmäßig als Drehkreuz für US-Rüstungslieferungen genutzt. Und Großbritannien hatte im September 2024 verlauten lassen, keine Waffen mehr zu liefern, die in Gaza eingesetzt werden. Trotzdem werden britische Produkte weiterhin in F-35-Kampfjets verbaut, die Bomben auf palästinensische Zivilisten abwerfen.
Der entscheidende Punkt ist jedoch ein anderer: Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI im April bekanntgab, stammten zwischen 2020 und 2024 66 Prozent aller Waffenlieferungen nach Israel aus den USA und 33 Prozent aus der BRD. Solange diese beiden Staaten ihre bedingungslose Unterstützung nicht stoppen, muss Netanjahu nicht einlenken.
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