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Aus: Ausgabe vom 26.07.2025, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Frage von Leben und Tod

Gaza: Drei Menschen mussten sterben, damit Kardinal Pizzaballa seine Gemeinde besuchen darf
Von Helga Baumgarten und Sami Kurd
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Wenn in Gaza Christen sterben, ist der Aufschrei im Westen größer als sonst (18.7.2025)

Es geschehen noch Wunder im »unheiligen Land«: Freitag vergangener Woche reisten die höchsten christlichen Würdenträger aus Jerusalem nach Gaza: der katholische Kardinal Pierbattista Pizzaballa und der griechisch-orthodoxe Patriarch Theophilos III. Am Tag davor war Gazas einziges katholisches Gotteshaus, die Kirche der Heiligen Familie, bombardiert worden. Drei Menschen starben: Saad Issa Kostandi Salama, Fumia Issa Latif Ajad und Nadschwa Ibrahim Latif Daud. Pfarrer Gabriel Romanelli war einer von mindestens neun Verletzten. Er war es übrigens, der regelmäßigen Kontakt mit Papst Franziskus hatte bis zu dessen Tod. Diplomatischer Druck, wohl an erster Stelle aus den USA, ermöglichte den Besuch.

Angekündigt war, dass die Delegation auch 500 Tonnen Nahrungsmittel und Medizin mitbringen würde. Massen von Menschen hatten davon gehört und waren zur Kirche geströmt: Dort würde es zum einen sicher sein, solange der Kardinal und der Patriarch dort waren. Zum anderen könnte man dort endlich gefahrlos Nahrung und Medizin erhalten. Die Delegation kam an. Doch die Lebensmittel mussten an der Grenze zurückbleiben.

Auf einer Pressekonferenz im katholischen Notre-Dame-Zentrum in Ostjerusalem, direkt vor dem Neuen Tor, das in die Altstadt führt, berichteten Pizzaballa und Theophilos III. über ihre Eindrücke. Sie zeigten einen erschütternden Film über die Lage in Gaza. Pizzaballa sprach über sein Entsetzen, als er den extremen Hunger hautnah sehen musste. »Humanitäre Hilfe ist nicht nur notwendig, sie ist zu einer Frage von Leben und Tod geworden. Jede Stunde ohne Nahrung, Wasser, Medizin und sichere Zufluchtsorte verursacht unerträglichen Schaden.« Sein Urteil war klar und deutlich: »Wir müssen offen und in aller Klarheit sagen, dass die Politik der israelischen Regierung in Gaza in keiner Weise akzeptabel ist und moralisch nicht gerechtfertigt werden kann. Es gibt keine Zukunft auf der Basis von Gefangensetzung und Vertreibung der Palästinenser oder mit Ausübung von Rache.« Er warnte vor der Umsetzung von Plänen, die Palästinenser aus Gaza zu vertreiben, Pläne, die das israelische Kabinett mehrheitlich unterstützt.

Theophilos drückte seinen Kummer aus über all das, was er in Gaza aus nächster Nähe erlebt hatte. Gleichzeitig betonte er die unverbrüchliche Hoffnung, die er und Kardinal Pizzaballa »als Diener des leidenden Körpers Christi« mit sich gebracht hätten. »Mitten in den zerbombten Mauern der Kirche der Heiligen Familie und angesichts der verwundeten Herzen der Gläubigen erlebten wir sowohl tiefe Trauer als auch unerschütterliche Hoffnung.« Die Mission der Kirche sei klar: »Wir stehen an der Seite der Trauernden, wir verteidigen das Leben, das uns heilig ist. Den Kindern Gazas aber sagen wir: Die Kirche wird immer auf eurer Seite stehen.« Er endete mit einem mahnenden Aufruf an die »internationale Gesellschaft«: »Schweigen angesichts dieses Leides ist ein Verrat an eurem Gewissen.«

Für die Gemeindemitglieder in Gaza war es sicher ein Wermutstropfen, dass keine palästinensischen Geistlichen mitgekommen waren: nur »Italiener« und »Griechen«, wie zu hören war. Wir sprachen mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen Theodosios von Sebastia (und Jerusalem), einem Palästinenser aus Al-Rahma in Galiläa, also Israel. Er war das letzte Mal 2010 in Gaza gewesen. Seitdem wird ihm die Einreise von Israel verweigert. Er hätte die Delegation liebend gerne begleitet. Bis heute kennen wir den Grund für den Ausschluss palästinensischer Geistlicher nicht.

Offen steht, wann und ob überhaupt die von der christlichen Delegation mitgebrachten Lebensmittel nach Gaza hineingelassen werden. Israel behauptete, dies verlange »komplexe Organisation«. Wer israelische Verlautbarungen lesen kann, versteht, dass auch diese Hilfsgüter eher nicht nach Gaza eingeliefert werden. Derweil sterben täglich mehr Menschen dort den Hungertod, vor allem Kinder: »Handala«, ein populäres Cartoonmotiv, das die Palästinenser symbolisiert, besteht nur noch aus Haut und Knochen.

Dies ist die 43. Kolumne von Helga Baumgarten, emeritierter Professorin für Politik der Universität Birzeit in Palästina

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