Fremde Lebensräume
Von Matthias Reichelt
Zuflucht in den Nationalismus, auch mangels eigener Identität, steht in vielen Ländern hoch im Kurs. Mit einem Nietzsche zugeschriebenen Zitat ließe sich Nationalismus als »schlechte Ausdünstung von Leuten« bezeichnen, »die nichts anderes als ihre Herdeneigenschaften haben, um darauf stolz zu sein«.
Für die meisten Menschen speist sich das Heimischfühlen aus vielen Elementen, die auch als Identität gefasst werden können. 28 internationale Künstlerinnen und Künstler versuchen dem wechselhaften Gefühl von Zuhausesein, Identität und ihrem Bedrohtsein im »Haus der Kunst der Stadt Brno« nachzuspüren. Zuvor war die von der italienischstämmigen Künstlerin Alba D’Urbano und der Deutschen Ina Bierstedt konzipierte Ausstellung im Haus Kunst Mitte in Berlin zu sehen.
Der brachialen Zerstörung des spießigen Interieurs eines Paares widmet sich das Video Susanne Kutters von 2011. Aus der Vogelperspektive gefilmt und zu Tönen des »Rosenkavaliers« sind Hände zweier Personen zu sehen – beim Teetrinken, Rauchen, bei einer beidseitigen Annäherung. Der Raum verengt sich, das Mobiliar wird zerquetscht wie in einer Müllpresse. Gestörte Idylle.
Nach dem Verlust eines Zuhauses durch Krieg und Vertreibung müssen sich Menschen in fremden Lebensräumen zurechtfinden. Es gibt Sprachbarrieren; Xenophobie und Rassismus sind Alltag.
Die Argentinierin Silvina Der Meguerditchian, Enkelin armenischer Immigranten, lebt seit 1988 in Berlin. In ihrem 25minütigen Video ist das erste Kapitel des Romans »Thresholds« von Krikor Beledian zu hören. Es geht um die Bedeutung überlieferter Fotodokumente für die Familiengeschichte. Und natürlich um den Genozid an den Armeniern durch die Osmanen. Die in Berlin lebende Japanerin Nanaé Suzuki ist mit einer Serie von Gemälden zu sehen, auf denen sich Geflüchtete vor dem griechisch-türkischen Krieg im Jahr 1923 in einem Opernhaus Athens einrichten.
»Bad Schandau« (2023) lautet der Titel des Gemäldes von Ina Bierstedt, auf dem Container zur Kontrolle von Einreisenden am deutschen Grenzort zu Tschechien gezeigt werden. Aufgrund der teilweisen Aussetzung des Schengener Abkommens und, ganz aktuell, der Aushebelung der grundgesetzlichen Garantie des Asylrechts erfährt der Ort eine neue dramatische Bedeutung.
Mit Femiziden befassen sich Installation und Collage »No more mothers, wives and daughters« von Tina Bara und Alba D’Urbano. Hinter dem heimeligen Mobiliar aus Schaukelstuhl, Gummibaum und Stehlampe ist eine Tapete mit den blutbefleckten Decken und Bezügen eines Schlafzimmers montiert, auf der weitere Fotos diverser Tatorte mit den Leichen ermordeter Frauen appliziert sind. Oft gibt es für Frauen keinen sicheren Ort, in vielen Fällen ist der familiäre Kontext toxisch und mörderisch.
»Nejisté domovy – Uncertain Domesticities«, Haus der Kunst der Stadt Brno, Tschechien, bis 10. August 2025
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Manfred Uhlenhut/picture-alliance/ ZB23.11.2018
Immergrün
- Jürgen Walther/Archiv Block20.10.2015
Wie Verbrechen die Erinnerung prägen
- jW/Sabine Peters07.02.2009
»Zum Malen reicht es nicht, Genie zu sein«
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Die Gewalt der Sprache
vom 25.07.2025 -
Dekolonisierung gescheitert?
vom 25.07.2025 -
Lieber nichts feststellen
vom 25.07.2025 -
Handel
vom 25.07.2025 -
Vorschlag
vom 25.07.2025 -
Nachschlag: Mettbrötchen und Helium 3
vom 25.07.2025