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Aus: Ausgabe vom 22.07.2025, Seite 4 / Inland
Hochrüstung der EU-Außengrenze

Von Polen lernen

Innenminister Dobrindt lobt bei Visite an EU-Außengrenze hochgerüstete Grenzanlagen. Linke prangert Politiker an, der über Leichen geht
Von Kristian Stemmler
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Schon ganz dicht? Alexander Dobrindt (CSU) am Grenzübergang Połowce-Pieszczatka (21.7.2025)

Alexander Dobrindt (CSU) nutzt jede Gelegenheit, um der Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass er sich beim Thema Migration von keinem rechts überholen lässt. Am Freitag hatte sich der Bundesinnenminister bei seinem Treffen mit Amtskollegen aus fünf Nachbarländern auf der Zugspitze als Vorreiter eines harten Kurses geriert. Am Montag hat Dobrindt das mit einem Besuch der polnisch-belarussischen Grenze fortgesetzt. Dort ließ er sich zeigen, wie Polens Regierung die Aufrüstung der EU-Außengrenzen besonders brutal exekutiert. An einem Grenzübergang traf Dobrindt sich mit seinem polnischen Kollegen Tomasz Siemoniak, der auch auf der Zugspitze dabei gewesen war, um sich ein Bild von den »Schutzmaßnahmen« dort zu machen, wie es aus dem Ministerium hieß.

Um über belarussisches Gebiet flüchtende Menschen – etwa aus Afghanistan, Irak oder Syrien – aufzuhalten, hat Polen die Grenze mittlerweile auf fast 200 Kilometern mit Stacheldraht und einem Stahlzaun befestigt. Das Asylrecht ist für diesen Bereich weitgehend suspendiert. Begründung dafür: Russland und Belarus nutzten laut westlichen Regierungen die »irreguläre Migration«, um die politische Lage in Polen zu destabilisieren. Nichtregierungsorganisationen berichten von systematischer Gewalt, die von den an dieser Grenze eingesetzten Beamten gegen Geflüchtete verübt werde – darunter völkerrechtlich illegale »Pushbacks«, Entzug von Nahrung und Kleidung sowie Schläge und Hundebisse.

All das interessierte Dobrindt erkennbar nicht. Polen verdiene »mehr Wertschätzung« der EU für die Maßnahmen an der Außengrenze, erklärte er und forderte mehr Hilfe der Europäischen Union bei der »Sicherung« seiner Grenze zu Belarus. Zudem betonte der CSU-Politiker, dass die im Mai eingeführten Grenzkontrollen an allen deutschen Außengrenzen zunächst fortgeführt werden sollen, solange nicht »überall in Europa« dort »wirksam« kontrolliert werde. »Wir wollen Härte und Konsequenz an den Außengrenzen Europas zum Schutz Europas«, erklärte Dobrindt.

In Reaktion auf die deutschen Grenzkontrollen hatte Polen vor zwei Wochen seinerseits vorübergehend Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland und Litauen eingeführt. Die deutsche und die polnische Regierung seien sich darin einig, dass diese Kontrollen nur eine temporäre Maßnahme sein könnten, sagte Dobrindt nun.

Scharfe Kritik an der Visite übte Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Die Linke. »Wer eine Grenze besucht, an der seit 2021 mindestens 87 Menschen gestorben sind, um sich über ›effektive Abschiebungen‹ zu informieren, zeigt, dass er bereit ist, für den Schutz von Grenzen über Leichen zu gehen«, erklärte Bünger am Montag gegenüber junge Welt. Zuletzt seien im April zwei Tote aus dem Grenzfluss Bug geborgen worden. In der Grenzregion werde das Asylrecht faktisch außer Kraft gesetzt, Schutzsuchende würden »selbst in medizinischen Notlagen gewaltsam zurückgedrängt«, sagte die Linke-Abgeordnete. Dobrindts Besuch legitimiere ihr zufolge »ein System, das fundamentale Menschenrechte verletzt – und den Tod von Flüchtenden billigend in Kauf nimmt.«

Gegenwind bekam Dobrindt unterdessen auch bei einem anderen Vorhaben, das er aktuell mit Nachdruck verfolgt: Abschiebungen nach Syrien. Es sei »völlig deplatziert« darüber jetzt zu spekulieren, erklärte die Grünen-Politikerin und frühere Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Luise Amtsberg, gegenüber den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Montag. Das werde »besonders in diesen Tagen deutlich, wo erneut syrische Minderheiten um ihr Überleben kämpfen«.

Amtsberg bezog sich damit auf die Angriffe in der Region Suweida im Süden Syriens, die sich insbesondere gegen die Minderheit der Drusen richten. Der Druck auf die syrische Übergangsregierung müsse erhöht werden, forderte die Grünen-Politikerin. Priorität habe der Schutz von Minderheiten und die »Aufklärung der Greueltaten, damit Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden können«. Amtsberg reagierte mit ihrer Kritik auf die Ankündigung der »schwarz-roten« Koalition, außer nach Afghanistan künftig auch direkt nach Syrien abgelehnte oder straffällige Asylsuchende abschieben zu wollen.

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