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Aus: Ausgabe vom 22.07.2025, Seite 5 / Inland
»Hochlohnland« BRD

Arm trotz Arbeit

Millionen Beschäftigte verharren hierzulande im Niedriglohnsektor – Ost-West-Gefälle weiterhin groß
Von Gudrun Giese
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Pure Plackerei für maue Löhne hinter großflächigen Glasfassaden (Berlin, 14.9.2020)

Rund zwanzig Prozent der Beschäftigten in Vollzeit erhalten einen Bruttolohn, der kaum zum Leben reicht und perspektivisch Altersarmut bedeutet.

Die Nachrichtenagentur dpa berichtete am Sonntag über eine Kleine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Dietmar Bartsch zum Thema. Rund 4,6 Millionen Vollzeitbeschäftigte kamen laut Antwort der Bundesregierung auf einen Monatsbruttolohn von weniger als 2.750 Euro. Bei vierzig Prozent oder 9,2 Millionen Menschen steht auf der Lohnabrechnung ein monatliches Brutto von unter 3.500 Euro. Damit steht aus Sicht des Abgeordneten fest, dass die Bundesrepublik kein Hochlohnland sei, wie aus Unternehmenskreisen oft kolportiert werde. Vielmehr gebe es »ein millionenfaches Lohnproblem«. Zur Einordnung: 3.500 Euro brutto sind laut steuerklassen.com für Beschäftigte mit der Steuerklasse 1 derzeit ungefähr 2.280 Euro, bei 3.000 Euro brutto noch 2.000 Euro netto. Wer davon stetig steigende Miet- und Lebenshaltungskosten zu bestreiten hat, kann wahrscheinlich kaum verreisen und wenig bis nichts für eine zusätzliche Altersvorsorge zurücklegen, wie es so gerne von wirtschaftsnahen Politikern empfohlen wird.

Wenn vom »Hochlohnland Deutschland« die Rede ist, geht es um die immer weniger werdenden sehr gut bezahlten Facharbeiterjobs in der Automobil- oder Chemieindustrie. Dort kommen Beschäftigte auf Bruttomonatslöhne von 5.000 Euro und mehr. Doch davon können viele Menschen, die im Dienstleistungssektor arbeiten, nur träumen. Dietmar Bartsch verwies in seiner Reaktion auf die Antwort der Bundesregierung zu den Niedriglöhnen darauf, dass ein Monatsbrutto von mindestens 3.300 Euro nötig sei, um eine Rente zu erhalten, die noch auf der Schwelle zum Armutsrisiko liege, sofern es keine weiteren Einkünfte im Alter gibt. »Löhne unter 3.500 Euro sind faktisch eine Garantie für Renten auf Armutsniveau«, so Bartsch weiter.

Armutsgefährdet ist ein Mensch in der Bundesrepublik mit einem Nettoeinkommen von unter 1.378 Euro monatlich, meldete das Statistische Bundesamt (Destatis). Damit sind rund 13,1 Millionen Menschen, 15,5 Prozent, armutsgefährdet. Dabei unterscheiden sich die Einkommen regional sehr stark. In den ostdeutschen Flächenbundesländern erhalten rund sechzig Prozent der Vollzeitbeschäftigten weniger als 3.500 Euro brutto im Monat. Im Gutverdienerbundesland Baden-Württemberg liegen 33,6 Prozent der Vollzeitbeschäftigten bei einem Bruttomonatslohn von unter 3.500 Euro. In Hamburg gibt es mit etwa 15 Prozent die wenigsten Beschäftigten, die weniger als 2.750 Euro monatlich bekommen, in Mecklenburg-Vorpommern mit 36 Prozent die meisten. Auf alle ostdeutschen Bundesländer bezogen sind es mehr als zwanzig Prozent, wobei auch Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und das Saarland mit jeweils mehr als zwanzig Prozent einen hohen Anteil dieser Niedriglohngruppe aufweisen.

Zwanzig Prozent der Vollzeitbeschäftigten lagen 2024 laut Destatis mit 77.000 Euro und mehr Jahresbruttoeinkommen an der Spitze der Entgeltpyramide. Ein Prozent gehörte mit 213.286 Euro oder mehr zu den absoluten Topverdienern. Etwa zehn Prozent rangierten mit 32.500 Euro oder weniger am anderen Ende. Der Linken-Abgeordnete Bartsch konstatierte mit Blick auf die starken Unterschiede, dass die Beschäftigten in der Bundesrepublik »eine ernsthafte Lohnoffensive« benötigten.

Rentner trifft das Armutsrisiko mit 19 Prozent noch stärker, wie aus dem Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes hervorgeht. Unter 1.300 Euro aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhielten zum Stichtag 31. Dezember 2024 mehr als 25 Prozent derjenigen, die mindestens 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt hatten. Allerdings beträgt der Anteil der gesetzlichen Rente am Bruttoeinkommen der über 65jährigen laut Alterssicherungsbericht für 2023 im Durchschnitt 53 Prozent. Betriebsrenten, Erwerbseinkommen, private Vorsorge, Transferleistungen sowie weitere Einkünfte ergänzen danach die gesetzliche Rente, wobei es auch in diesem Bereich starke Unterschiede zwischen Ost- und Westbundesländern gibt.

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