»Die Gewalt im Knast ist unsichtbar«
Interview: Marc Bebenroth
Fünf Jahre ist es mittlerweile her, dass in Berlin der Algerier Ferhat Mayouf am 23. Juli 2020 während seiner Untersuchungshaft in der JVA Moabit tot aufgefunden wurde. Er starb an Rauchvergiftung. Wie halten Sie den Kampf um Aufklärung für Mayouf bis heute aufrecht?
Die Frage ist, mit welcher Einstellung geht man noch an diesen Kampf ran, wenn man sowieso ein gewisses Misstrauen gegenüber der staatlichen Aufklärung, den staatlichen Institutionen hat. Es gab Versuche, den Kampf auch über den juristischen Weg zu führen. Die waren aber bislang alle nicht erfolgreich. Zuletzt sind Ermittlungen im Juni 2023 eingestellt worden, im Oktober dann durch die Generalstaatsanwaltschaft. Es geht uns darum, dass Ferhats Tod nicht in Vergessenheit gerät.
So spielte Rassismus eine Rolle dabei, dass er überhaupt in Untersuchungshaft war, denn er hatte keine Papiere. Die Gewalt, die er dort erfahren hat, geht darauf zurück. Sie hat aber auch allgemein mit der Institution Knast zu tun, die wenig Wert auf Menschenleben legt. Das zeigen die immer neuen Zellbrände sowie die vielen Suizidfälle.
Sie sind im Kontakt mit einem damaligen Mitgefangenen von Ferhat Mayouf, Kay Schedel, der bedeutend dazu beigetragen habe, die Todesumstände öffentlichzumachen. Was ist nach heutigem Kenntnisstand damals passiert?
Ohne Kay wäre die ganzen Vertuschungen und Ungereimtheiten gar nicht erst ans Licht gekommen. Ferhat war zuvor bereits stundenlang vollständig isoliert gewesen. Er hatte sich noch darüber beschwert, dass er an Depression leidet und sich selbst verletzt hatte. Deshalb hatte er die Gefängnisleitung darum gebeten, in das Haftkrankenhaus verlegt zu werden. Aber das wurde nicht gemacht. Abends dann gab es den Brand in seiner Zelle. Berichten zufolge standen Wärter vor Ferhats Tür und machten keine Anstalten, sie von sich aus zu öffnen. Das erfolgte erst mit dem Eintreffen der Feuerwehr.
War aus der Zelle nichts zu hören?
Laut Aussagen von Mitgefangenen hat Ferhat um Hilfe gerufen und von innen gegen die Tür geknallt. Fast eine halbe Stunde dauerte es, bis sie von der Feuerwehr geöffnet wurde. Da konnte nur noch sein Tod festgestellt werden. Der Zeitraum, in dem der Erstickungstod bei Bränden eintreten kann, variiert. Deshalb wurde in den späteren Justizverfahren argumentiert, es gebe keinen Zusammenhang zwischen dem zu späten Öffnen der Tür und dem Tod von Ferhat. Als ob der quasi auch eingetreten wäre, wenn man die Zellentür 25 Minuten vorher aufgemacht hätte. Das ist eine perfide Logik, die zeigt, wie wenig das Menschenleben im Knast wert ist.
Es wurde beispielsweise auch am Anfang gesagt, dass die Tür gar nicht aufging, da sie von innen verbarrikadiert worden sei. Da dies bei einer Tür, die nach außen aufgeht, gar nicht möglich ist, war das eine offensichtliche Lüge. Später hieß es, die Tür sei durch die Hitze verzogen. Kay konnte später feststellen, dass sie kerzengerade war. Es liegt ein Gutachten vor, das bestätigt, dass es kein riesiges Feuer war, sondern eher, dass der Rauch die Zelle füllte.
Für die Tage um den diesjährigen 23. Juli haben die Rote Hilfe, die KOP, »Free Mumia«, das Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«, »Death in Custody«, »Young Struggle« und »Perspektive Selbstverwaltung« zur Teilnahme an drei Veranstaltungen aufgerufen. Warum geben sie alle sich nicht mit einer Demonstration an Ferhat Mayoufs Todestag zufrieden?
Wir haben den Eindruck, dass es zuwenig Auseinandersetzungen zum Thema Knast gibt und gleichzeitig das Bedürfnis groß ist, diese zu haben. Ein Austausch gelingt uns besser in der Form kleiner Veranstaltungen. Im Vergleich zur Debatte um rassistische Polizeigewalt ist die Gewalt im Knast unsichtbar.
… und findet buchstäblich hinter Mauern versteckt statt. Weshalb verknüpfen Sie mit dem Aufruf zu den Veranstaltungen auch die ultimative Forderung »Alle Knäste abschaffen!«?
Wir begrüßen alle Kämpfe um jede noch so kleine Verbesserung, doch ist der Zweck der Institution Knast das wahre Problem. Wir brauchen andere Perspektiven und Wege. Es gibt bereits praktische Beispiele und wertvolle Erfahrungen. Die Debatte darüber läuft. Aber selbst wenn es unterschiedliche Vorstellungen gibt, eint uns alle die Erkenntnis, dass es jetzt nicht so weitergehen darf.
Daniel K. ist Mitorganisator der Gedenkdemonstration für Ferhat Mayouf und Teil der Roten Hilfe Berlin
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