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Aus: Ausgabe vom 21.07.2025, Seite 2 / Ausland
Ukraine-Krieg

Selenskij ist angezählt

Britische und US-Medien erklären ukrainischen Präsidenten für rücktrittsreif
Von Reinhard Lauterbach
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Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat Russland für die bevorstehende Woche zu einer neuen Verhandlungsrunde in Istanbul aufgefordert. Er sagte am Sonnabend in seiner täglichen Videobotschaft, die »Gesprächsdynamik« müsse »intensiviert« werden und Russland müsse aufhören, sich »vor einer Einigung zu drücken«. Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidialamts, erklärte am Sonntag im staatlichen Fernsehen, Russland sei zu Friedensverhandlungen bereit, betonte allerdings: »Für uns geht es vor allem darum, unsere Ziele zu erreichen. Unsere Ziele sind klar«.

Derweilen haben mehrere britische und US-amerikanische Leitmedien die Amtsführung Selenskijs heftig kritisiert und ihm den Rücktritt nahegelegt. Der britische Spectator, ein konservatives Blatt mit Verbindungen zum Staatsapparat, schrieb am Wochenende, die Ukrainer hätten »den Glauben an Selenskij verloren«. Soll heißen: Als Anführer im Krieg sei der Präsident untauglich geworden. Dazu trügen militärische Misserfolge, die unbeliebte Zwangsrekrutierung und die ungebremste Korruption bei. Ähnliche Texte waren zuletzt auch in der Londoner Times und im Wall Street Journal erschienen. Der Investigativjournalist Seymour Hersh berichtete unter Berufung auf Beamte des US-Außenministeriums, Washington schlösse auch einen gewaltsamen Regimewechsel in Kiew nicht mehr aus, wenn sich Selenskij nicht freiwillig zum Rücktritt bereitfinde. Als am besten geeigneten Nachfolger stellten die angelsächsischen Medien den früheren General Walerij Saluschnij dar, den Selenskij auf den Botschafterposten in London abgeschoben hatte.

Am Wochenende griffen sich beide Seiten mit Drohnen und Raketen an. Die Ukraine beschoss mit 93 Drohnen Ziele in Moskau und dem Umland und sorgte für Verkehrsbehinderungen an den vier Flughäfen der Hauptstadt, Russland feuerte einige Hundert Drohnen und Raketen auf militärisch-industrielle Objekte in Odessa, Pawlohrad, Kramatorsk und Schostka ab. Dabei wurden Munitions- und Treibstofflager, Flugplätze und eine Munitionsfabrik zerstört. Aus unbekannten Gründen brach in einem Wald unweit des AKW Saporischschja ein Brand aus. Die Anlage selbst sei nicht gefährdet gewesen, meldeten die örtlichen Behörden. In der Südukraine herrscht derzeit eine Hitzewelle mit Temperaturen um 37 Grad.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (21. Juli 2025 um 09:31 Uhr)
    Wenn, wie es der Artikel beschreibt, zeitgleich in verschiedenen größeren angelsächsischen Medien eine Kampagne zum Regierungswechsel in der Ukraine gefahren wird (während ihre Berufskollegen in der EU weiterhin Selenskyi als großen Politiker darstellen, an dem es nichts zu rütteln gibt), drängt sich der Gedanke an eine konzertierte Aktion auf und der Mangel an notwendiger Distanz der großen Medienhäuser zur jeweiligen politischen Macht im eigenen Land scheint sich wieder einmal zu bestätigen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. Juli 2025 um 21:01 Uhr)
    Die ukrainische Bevölkerung und das Militär wirken zunehmend erschöpft – die Stimmung kippt, der Krieg fordert spürbar seinen Tribut. Korruptionsskandale auf höchster Ebene – darunter die Festnahme zweier stellvertretender Minister und des prominenten Anti-Korruptionsaktivisten Vitaliy Shabunin – erschüttern das Vertrauen in die Staatsführung. Die politische Stabilität gerät ins Wanken. Der Vertrauensverlust reicht längst über vereinzelte Fehltritte hinaus: Es handelt sich um einen tiefgreifenden Autoritätsverfall, der den Druck auf Präsident Selenskij massiv erhöht. Zwar hält er sich formal noch im Amt, doch der Vorhang hebt sich bereits für alternative Machtkonstellationen. Die Kräfteverhältnisse könnten sich schon bald entscheidend verschieben.

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