Kiew mit neuer Führung
Von Reinhard Lauterbach
Das ukrainische Parlament hat am Donnerstag die neue Regierung unter Premierministerin Julija Swiridenko bestätigt. Das Votum mit 262 Jastimmen galt ebenso als Formalie wie die Ablösung des Kabinetts Denis Schmigal am Mittwoch, die eine Stimme weniger erhalten hatte. Der Wechsel in der Staatsführung war eine Forderung Präsident Wolodimir Selenskijs. Gegenstimmen gab es nicht, weil der Rest des 450 Sitze umfassenden Parlaments das Prozedere boykottierte.
Die designierte Ministerpräsidentin gilt als jemand, der Selenskij politisch jeden Wunsch von den Lippen abliest. Insbesondere handelte Swiridenko das Rohstoffabkommen mit den USA aus, dessen Kleingedrucktes bis heute nicht veröffentlicht worden ist. Die aktuelle vom Präsidenten vorgebene Zielrichtung lautet: »Den Anteil ukrainischer Waffen innerhalb der ersten sechs Monate der neuen Regierung auf 50 Prozent zu bringen, indem wir unsere heimische Produktion ausbauen«, wie er am Mittwoch abend erläuterte. Derzeit machen ukrainische Waffen Selenskijs Angaben zufolge etwa 40 Prozent der an der Front und bei Einsätzen verwendeten aus.
Von Schmigal ist bekannt, dass er sich intern kritisch über den Rohstoffvertrag mit seinen Knebelkonditionen geäußert hat. Der bisherige Ministerpräsident kommt in der neuen Kabinettsliste als Verteidigungsminister vor. Dieser Posten gilt als »Himmelfahrtskommando«, weil der entsprechende Vertreter für Misserfolge und auch Korruptionsfälle verantwortlich gemacht wird, wie sie aus der ukrainischen Armee immer wieder bekannt werden.
Den bisherigen Verteidigungsminister Rustem Umerow wollte Selenskij ursprünglich als Botschafter in den USA versorgen. Das scheiterte aber daran, dass Washington ihm offenbar die Zustimmung verweigerte. Als Ersatz soll Umerow in den Nationalen Sicherheitsrat wechseln, aber nach Informationen aus der prowestlichen Partei Golos ist noch nicht klar, als was: Vom stellvertretenden Vorsitzenden bis zum einfachen Mitglied oder auch zum Präsidentenberater sei alles drin, erklärte der Golos-Abgeordnete Jaroslaw Schelesnjak gegenüber dem Portal UNN. Über Ume-row ist zuletzt bekanntgeworden, dass er in Florida ein Anwesen mit angeblich acht Zimmern und zwei Swimmingpools besitzt. Sein Ministergehalt dürfte dies nicht hergegeben haben.
Unterdessen treibt die NATO die von US-Präsident Donald Trump Anfang der Woche verkündete Lieferung weiterer »Patriot«-Flugabwehrsysteme an die Ukraine voran. »Die Anweisung, die ich erhalten habe, lautet, so schnell wie möglich vorzugehen,« so der militärische Oberbefehlshaber der Kriegsallianz, Alexus Grynkewich, am Donnerstag auf einer Konferenz in Wiesbaden. Dabei arbeite man »sehr eng mit den Deutschen zusammen«. Am Mittwoch hatte sich die Bundesregierung noch genötigt gesehen, Aussagen Trumps zu dementieren, laut derer erste Lieferungen bereits unterwegs sein sollen. »Das ist mir nicht bekannt«, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin am Mittwoch. »Bis so was dann auf dem Hof steht« könne es Monate dauern, betonte er. Am kommenden Mittwoch ist ein Treffen europäischer Staaten geplant, die »Patriots« abgeben könnten, neben der BRD sind das dem Spiegel zufolge sechs weitere EU-Staaten, darunter Polen und Spanien.
In der Ukraine selbst setzt Russland seine täglichen Drohnenangriffe auf Industriebetriebe fort. Am Donnerstag wurde in Dnipro eine Röhrengießerei beschädigt, am Mittwoch hatte es den nach Angaben der örtlichen Behörden größten Luftangriff auf Selenskijs Geburtsstadt Kriwij Rig seit Kriegsbeginn gegeben. Zwei Fabriken seien völlig zerstört worden. Stark beschädigt wurde auch ein der polnischen »Barlinek«-Gruppe gehördendes Werk in Winnizja. Die Fabrik produziert Fußbodenbretter, ist also von geringer militärischer Relevanz. Warschau interpretierte den Beschuss als Signal, um polnische Investoren abzuschrecken. Der Krieg nähere sich den polnischen Grenzen, so Außenminister Radosław Sikorski am Mittwoch in Lublin.
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