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Aus: Ausgabe vom 16.07.2025, Seite 4 / Inland
Zionismus versus Meinungsfreiheit

Staatsräson auf dem Campus

Zionistischer Student verklagt Freie Universität Berlin: Sie müsse entschlossener gegen Antisemitismus vorgehen. Prozess zieht sich hin
Von Niki Uhlmann
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Protest unterbunden: Die FU ließ das friedliche Palästina-Camp von der Polizei räumen (Berlin, 7.5.2024)

Mit drei hauptamtlichen und zwei ehrenamtlichen Richtern war die volle Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin am Dienstag vertreten. Der vorliegende Fall habe »eine große Bedeutung«, erklärte der Vorsitzende Richter Edgar Fischer diese außerordentliche Konstellation. Verhandelt worden ist die Klage des zionistischen Studenten Lahav Shapira gegen die Freie Universität (FU) Berlin. Weil er jüdisch sei, würde er auf dem Campus immer wieder angefeindet. Der FU wirft er vor, dagegen nicht rigoros genug vorzugehen, also gegen das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) zu verstoßen. Entschieden wurde am Dienstag vorerst nicht.

Paragraph 5 b BerlHG, »Hochschule der Vielfalt«, macht der FU die Vorgabe, »bei der Erfüllung ihrer Aufgaben auf die Gleichstellung aller Menschen und eine diskriminierungsfreie Bildung« hinzuwirken, ferner »zum Abbau bestehender Hindernisse« beizutragen. Shapiras Anwälte beriefen sich auf den zweiten Absatz, der ihnen zufolge ein subjektives Recht, also einen einklagbaren Anspruch auf den angezielten Schutz begründe. Dort heißt es, die »Hochschulen sind verpflichtet, Diskriminierungen« – darunter antisemitische – »zu verhindern und bestehende Diskriminierungen zu beseitigen«. Shapira meint, die FU habe diese Pflicht in seinem Fall vernachlässigt. Seine Anwälte reichten darum eine Feststellungsklage ein.

Die FU beantragte dagegen, die Klage abzuweisen. Ihr Rechtsbeistand argumentierte, dass man das Problem letztlich nur dann bearbeiten könne, wenn über den Verstoß hinaus auch festgestellt würde, was zu tun wäre. Dieser Fall würde »auch für die Öffentlichkeit verhandelt«, polemisierte Shapiras Anwältin Kristin Pietrzyk daraufhin. Immerhin gehe es darum, »auch zukünftigen Studenten das Studieren zu ermöglichen«. Die FU könne »von Betroffenen« nicht ernsthaft »ein Konzept« erwarten, wie mit der Diskriminierung umzugehen sei. Erwidert wurde ihr, dass es bei diesem Einwand lediglich um die Art der Klage gehe. Fischer stellte klar, dass auch eine Normenerlassklage denkbar sei, eine Feststellungsklage seitens der hauptamtlichen Richter aber bislang als ebenso zulässig erachtet werde.

Ferner argumentierte der Anwalt der FU, dass die für Shapira in Anschlag gebrachte Rechtsnorm sich eben nicht an Studierende, sondern »an die Hochschulen richtet«. Dem Gesetzgeber sei es darum gegangen, dass dort Strategien gegen Diskriminierung entwickelt werden. In einer Mitteilung von vergangenem Freitag hat die FU ihre »Maßnahmen gegen Antisemitismus« dargelegt: »zentrale Ansprechpersonen« für Betroffene, »zahlreiche Workshops« für Studierende und Beschäftigte und ein »Verhaltenskodex«. Jeder Vorfall werde dokumentiert »und – wo möglich – disziplinarisch oder juristisch aufgearbeitet«. In »konkreten Bedrohungssituationen« seien Sicherheitsdienste und Polizei eingeschaltet worden. Letztlich dürfe die FU aber kein »dauerhaft überwachter Raum« werden, gelte dort die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit.

Da Studierende erstens nicht vom Arbeitsrecht und zweitens in vielen Fällen nicht vom Strafrecht Gebrauch machen könnten, um ihre Rechte an der Hochschule durchzusetzen, müsste Paragraph 5 b Abs. 2 BerlHG sehr wohl als subjektives Recht begriffen werden, wandte Pietrzyk ein. »Sie wollen, dass betroffene Studierende kein Recht haben, diesen Schutz einzuklagen«, warf sie der Angeklagten vor.

Shapira schilderte seine Betroffenheit auf Nachfrage der Richter. Unter anderem störe ihn, dass zuweilen »alle Israelis als Kolonisatoren« bezeichnet und »bestimmte Veranstaltungen zugelassen« würden. Die Uni habe seine Anliegen nicht angemessen bearbeitet, ihn gar aufgefordert, selbst tätig zu werden. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Shapira auf dem Campus kaum einem Konflikt aus dem Weg geht, wie im April im Fachportal Legal Tribune Online zu lesen war.

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