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Aus: Ausgabe vom 10.07.2025, Seite 10 / Feuilleton
Kunst

Schaut, wie schlecht die Welt ist

Die 13. Berlin-Biennale versucht sich gar zu harmlos an einem Perspektivwechsel
Von Matthias Reichelt
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Elshafe Mukhtar: »When Bots Rule a Great Nation« (2025)

Weg vom westlichen Blick: Diesen in der Kunstwelt trotz der Documenta-Skandale noch immer gefragten Perspektivwechsel sucht auch die 13. Berlin-Biennale. Die Kuratorin Zasha Colah, 1982 in Mumbai geboren und in Sambia aufgewachsen, hat das Programm unter Assistenz der 1991 in Argentinien geborenen Künstlerin und Kuratorin Valentina Viviani entwickelt. Der Fuchs ist dabei das metaphorische Leitmotiv, weil er sein gewohntes Terrain verlässt und sich zwar in der »Fremde« der Stadt assimiliert, doch zugleich unseren Blick subversiv stört. Colah und Viviani konfrontieren das Publikum an vier Ausstellungsorten (KW, Sophiensäle, Hamburger Bahnhof und im ehemaligen Gerichtsgebäude Lehrter Straße) mit Werken, die zwischen Kunst und politischem Aktivismus changieren. Allein: Die hiesigen Verhältnisse bleiben außen vor.

Die Biennale findet zu einer Zeit statt, in der die westliche Dominanz schwindet. Asien, Afrika und Lateinamerika befreien sich aus restkolonialen Verhältnissen und beanspruchen einen stärkeren Einfluss auf das Weltgeschehen. Gleichzeitig lassen sich die doppelten Standards des sogenannten Wertewestens kaum mehr verschleiern. So darf etwa Israel seit Jahren gegen Völkerrecht verstoßen und zuletzt nicht nur einen Genozid an Palästinensern verüben, sondern auch – übrigens genau am Eröffnungstag der Berlin-Biennale – einen »Angriffskrieg« gegen den Iran beginnen. Andere Staaten werden für weit weniger hart sanktioniert, hier spricht Bundeskanzler Merz von der »Drecksarbeit«, die Israel »für uns« mache. Diese Konflikte sucht man vergeblich auf der Biennale. Dabei böte eines der Schlüsselwerke einen trefflichen Anlass dafür.

Im Erdgeschoss des KW Institute for Contemporary Art (auch bekannt als Kunst-Werke) finden die Besucher eine Arbeit des 1966 in Mailand geborenen deutschen Künstlers Armin Linke, der bereits an der ersten Berlin-Biennale 1998 teilgenommen hatte. Er fotografierte das Gemälde »Der Berliner Kongreß 1878« (1881) von Anton von Werner in der Berliner Senatskanzlei und unterteilte die Reproduktion in sechs vertikale und gerahmte Segmente. Damit lenkt Linke die Blicke des Publikums auf verschiedene Gesprächsrunden im Hintergrund, während im Vordergrund der Händedruck zwischen Reichskanzler Otto von Bismarck und dem russischen Gesandten Graf Pjotr Andrejewitsch Schuwalow unter der Zeugenschaft des ungarisch-österreichischen Grafen Gyula Andrássy zu sehen ist. Hier wurde der Balkan imperialistisch »neu geordnet«, während das Osmanische Reich nur zuschauen konnte. Sechs Jahre später folgte ebenfalls in Berlin die »Kongo-Konferenz« (1884/85), auf welcher der afrikanische Kontinent unter den imperialistischen Mächten Europas aufgeteilt wurde. Linkes Werk an den Anfang zu setzen ist eine programmatische Entscheidung. Es lenkt den Blick zurück auf die Gewalt, die von den Kolonialmächten ausging und in vielen Ländern bis heute ihre Spuren hinterlassen hat.

Mit wenigen Ausnahmen – das großartige Werk der 1965 geborenen italienischen Künstlerin Anna Scalfi Eghenter zur antimilitaristischen Rede von Karl Liebknecht 1916 wurde in dieser Zeitung bereits von Stefan Heidenreich gewürdigt – thematisieren die meisten der circa 60 hier vertretenen Künstlerinnen und Künstler Gewalterfahrungen und Repression. Manche Werke sind Agitprop und Beispiele für subversiven Protest gegen die Willkür der Macht. Diese mit Humor zum Gegenstand zu machen, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben, ist das Anliegen des internationalen Frauenbündnisses Lanna Action for Burma Committee. Es greift einen Aberglauben in Myanmar auf, dass die Macht von Männern durch die Berührung von Frauenunterwäsche gebrochen wird. Unter dem Titel »Panties for ­Peace« (Schlüpfer für Frieden) ließ das Kollektiv zwischen 2007 und 2010 massenhaft Briefe mit Slips an die Botschaften des männlich geführten Militärregimes in aller Welt senden. In den KW erinnert eine Wand voller Videoclips und Aufkleber mit stilisierten Unterhosen an die Aktion. In diesen Kontext gehören auch die Textilpuppen, die diverse Szenen des Widerstands gegen das Regime in Myanmar zeigen. Sie stammen von der 1969 in Burma geborenen Künstlerin Chaw Ei Thein. Im Keller der KW befindet sich eine Bar mit Tischen und einer Bühne, die während der Biennale von der 1991 in Bosnien geborenen und in Berlin lebenden Satirikerin Mila Panić als »Big Mouth Comedy Club« bespielt wird.

Wenig überraschend gibt es dafür das Lob der Süddeutschen Zeitung, die positiv bemerkt, dass Nahost keine Rolle spielt und auch nicht »ein angeblich globaler Norden für alle Probleme eines angeblich globalen Südens angeprangert wird«. Die 13. Berlin-Biennale thematisiert Unterdrückung in anderen Ländern, aber ignoriert alles, was in der westlichen Welt und damit auch in Deutschland an Faschisierungstendenzen, Repression, Berufsverboten, Zensur und Verengung des Debattenraums zu beobachten ist. Eine Wohlfühlveranstaltung für das aufgeklärte Bürgertum dieser Stadt.

13. Berlin-Biennale 2025, KW – Institute for Contemporary Art, Sophiensäle, Hamburger Bahnhof, Ehemaliges Gerichtsgebäude in der Lehrter Straße, bis 14. September 2025

https://13.berlinbiennale.de/de

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