In die falsche Richtung
Von Stefan Heidenreich
Den Fuchs hat die Kuratorin Zasha Colah als Maskottchen der 13. Berlin-Biennale gewählt. Im Berliner Stadtleben sind die Tiere, besonders nachts, häufig anzutreffen. »Das trickreiche Unterwandern oder Durchschlängeln« gehört zu ihren besonderen Fähigkeiten, wie es im Katalog zur Ausstellung heißt. Wie sich Kunst der Unterdrückung und Repression mehr oder weniger ausgefuchst entzieht, ist ein wiederkehrendes Anliegen vieler Werke der Ausstellung. Besonders in Südostasien ist die aus Indien stammende Kuratorin Zasha Colah fündig geworden. Es wäre nicht nötig gewesen, so weit in die Ferne zu schweifen, gilt doch international unter Kulturschaffenden und Künstlern seit ein paar Jahren Deutschland, die Stadt Berlin ganz besonders, als eine der repressivsten Standorte Westeuropas. Wer hierzulande die Kriegsverbrechen in Gaza oder die rechtsnationale Regierung Israels in sozialen Medien kritisiert, hat ausgespielt, was Auftritte, Ausstellungen oder gar Förderung betrifft. Um so ausgefuchster muss sein, wer überleben will.
Die Ausstellung widmet sich der Kunst in Zeiten der Repression nicht als Thema, sondern als Anliegen. Sie bittet nicht um Aufmerksamkeit, sie zeigt Beispiele und unterbreitet Vorschläge. »The exhibition is not thematic. It is propositional« heißt es im Vorwort der Kuratorin. Das heißt im Klartext: Es geht nicht darum, Künstler in fremden Ländern zu bemitleiden. Die Aufgabe hat sich gewandelt. Seit die Repression auch bei uns Einzug gehalten hat, müssen wir uns überlegen, was wir von den Erfahrungen der anderen lernen können. So lässt sich auch der Titel der Ausstellung verstehen: passing the fugitive on – das Flüchtige weitergeben. Das Flüchtige ist in diesem Fall: Wissen um Repression und Widerstand.
Die Ausstellung der 13. Berlin-Biennale lässt sich am besten von zwei Schlüsselwerken her lesen. Das eine befindet sich am Ende des Parcours, im entferntesten Raum des alten Gerichtsgebäudes in der Lehrter Straße. Das andere blickt von der am höchsten gelegenen Stelle auf die Ausstellung und die Welt darum herum herab, vom Dachgeschoss in den KW (Kunst-Werken) in der Auguststraße. Die Wahl dieser Positionen war kein Zufall, sondern eine wohlüberlegte kuratorische Entscheidung.
Man mag der Kuratorin vorwerfen, sie würde sich wie so viele ihrer Kolleginnen um eine klare Position drücken. Schließlich gehört politisch aufgeladener Ethnokitsch aus fernen Ländern mittlerweile zum Standardrepertoire internationaler Großausstellungen. Auch bei der Berlin-Biennale 13 kommen die Freunde »guter Kunst« im konventionellen Sinn kaum auf ihre Kosten. Dafür widmet sich die Ausstellung etwas Dringenderem. Sie setzt sich mit der Lage unserer Zeit auseinander, wenn auch nicht ganz so geradeheraus und offensichtlich wie beispielsweise die von Skandalen überschattete letzte Documenta.
Die zwei Schlüsselwerke zeigen deutlich, wie die Ausstellung zu lesen ist. Nicht kontemplativ, aus der passiven Betrachtung von etwas Fernem, sondern aktiv, im Sinn eines Vorschlags.
Unter dem Dach der Kunstwerke hat der aus Myanmar stammende Künstler Sawangwongse Yawnghwe das Hauptquartier eines Schurken eingerichtet. Als Joker verkleidet prangert er die Weltherrschaft der internationalen Waffenbrüderschaften an, ohne zwischen West und Ost, zwischen China, Europa, den USA und Russland einen Unterschied zu machen. Alle zusammen ziehen sie an einem tödlichen Strang. Das Land Myanmar dient nur als Frontstaat und Beispiel. Seit Jahrzehnten wird der Staat von Proxykriegen und Militärherrschaft heimgesucht. Nun kann man beim besten Willen nicht behaupten, dass Deutschland Burma gleiche, wie das Land unter seinen britischen Kolonialherren hieß – aber an den Dachbalken aufgehängte Listen der Kriegsprofiteure, Militärausgaben und Rüstungskonzerne zeigen, wie die Militarisierung auch hier in großen Schritten voraneilt. In dieser Hinsicht hat uns der Künstler eine Erfahrung voraus: Er weiß, wie es sich in einem Militärstaat lebt.
Aus anderer Ferne nähert sich die italienische Künstlerin Anna Scalfi Eghenter ähnlichen Zusammenhängen. Ihre auf drei Räume und einen Innenhof verteilte Arbeit widmet sich dem politischen Leben von Karl Liebknecht. Der Prozess gegen den Sozialistenführer fand in dem heute die Ausstellung beherbergenden Gerichtsgebäude an der Lehrter Straße statt. Wenige Monate vor seiner Verhaftung richtete er sich am 1. Mai des Jahres 1916 an die auf dem Potsdamer Platz demonstrierenden Arbeiter. Der Text des Flugblatts wird in der Ausstellung verlesen. Er könnte aktueller nicht sein. Nur dass Liebknecht im Gegensatz zu dem, was sich heute in der Parteienlandschaft als links bezeichnet, die Militarisierung immer aufs Schärfste bekämpft hat, anstatt den Weg für die neuen Kriegskredite freizumachen. Ansonsten gleicht sich die Lage derart, dass es sich geradezu gespenstisch anfühlt, den Worten des Arbeiterführers in der zum Ausstellungsraum verwandelten Gerichtskammer zu lauschen. Wieder geht es um Geld für immer mehr Waffen, um Aufrüstung, um einen Stellungskrieg, der sich endlos hinzieht und der unvermeidlichen Niederlage entgegenstrebt.
Beide Werke, das eine als Ruf aus der Ferne Südostasiens, das andere als Ruf aus der Geschichte, setzen den Akkord, von dem aus sich die Ausstellung lesen lässt. Sie entschlüsselt sich als fürsorglicher Ratschlag einer Reihe von Freunden aus den verschiedensten Weltgegenden und berichtet von den Umständen, in die sich unsere Gegend gerade erst hineinbewegt.
13. Berlin-Biennale 2025 – diverse Orte, bis 14. September 2025
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