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Aus: Ausgabe vom 10.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Sommertag mit Pommes

Willy Hans’ Film »Der Fleck« wabert ziellos durch die Landschaft und erzeugt darüber einen besonderen Flow
Von André Weikard
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Alles ist interessant und nichts: Marie (Alva Schäfer) guckt

»Wasser, Huhn, Volleyball, Moped, Liebe, Hund, Wald, hohes Gras, Jugend, Steine, Fluss, Zigaretten, Würstchen, Techno, Wind, Geburtstag, Gegenwart, Pommes mit Ketchup – das alles finde ich gut. Darüber wollte ich einen Film machen«, schreibt Willy Hans. Er hat einen Film darüber gemacht. »Der Fleck« heißt er. Und hat genau den Duktus dieser Aufzählung. Lauter Bilder, lauter Beobachtungen, die nebeneinander stehen und weniger eine Geschichte erzählen, als vielmehr ein Gefühl modellieren. Das Gefühl eines endlos trägen, heißen Sommertages.

Die schmale Handlung geht so: Simon (Leo Konrad Kuhn) schwänzt den Sportunterricht, steigt zu einem Bekannten ins Auto. Gemeinsam fahren sie an den Fluss. Da hängt schon ein Grüppchen Jugendlicher ab. Sie paffen, gammeln, vapen, labern. Werfen sich ein paar Bälle zu. Werfen gelangweilt Steinchen ins Wasser. Stochern gelangweilt mit Ästen im Gestrüpp. Die erste halbe Stunde von »Der Fleck« fühlt sich an wie das Warten auf einen Bus an der Haltestelle. Dann, wenn man Glück hat, ist man drin. Im »Flow«. Dann starrt man auch ins Leere, folgt der Kamera, die an rund gewaschenen Kieseln entlangfährt. Sieht zu, wie Jugendliche sich die Oberschenkel mit Kuli bemalen. Alles treibt, alles wabert dahin. Vielleicht kommen dem ein oder anderen Zuschauer die Sommerfilme von Eric Rohmer in den Sinn.

»Der Fleck« will zumindest formal mehr. Mal ist eine Filmklappe zu sehen. Mal eine Person, die nicht im Bild sein dürfte. Brüche, wenn damit etwas bezweckt würde, könnte man sagen: Verfremdungseffekte. Eine unruhige Handkamera stellt die sprechenden Personen unscharf. Ihr sinnloses Gerede spielt keine Rolle. Aufreizend lange zeigt Hans eine Pommesschale mit Ketchuphäufchen im Eck. Zoom ins Gehölz. Teenager sitzen im Gras, Teenager sitzen vor Beton. Die Regieanweisung ist immer gleich: gelangweilt gucken. Irgendwo summt eine Fliege, ferner Straßenlärm ist zu hören. Ausgelatschte Turnschuhe, das Anzünden einer Kippe. Alles ist interessant und nichts.

Ist eine tausend Jahre alte Suppe, der immer wieder neue Zutaten hinzugefügt werden, noch tausend Jahre alt? Fragen sich die Jugendlichen. Ist ein Schiff, bei dem nach und nach alle Teile ersetzt wurden, noch dasselbe Schiff? Die Fragen bleiben im Raum stehen. Argumente werden keine ausgetauscht. Gespräche münden in ein: »Okay«. Oder: »Weiß nicht«. Bei Wenders-Schüler Willy Hans ist ein Ball, der versehentlich in Simons Gesicht fliegt, ein Ereignis. Nasenblut sickert in ein weißes Shirt. »Der Fleck« ist ein Film ohne Ziel, in den man sich verlieben kann. Wenn man über das irrige Gefühl hinwegkommt, dass man gerade Besseres zu tun ­hätte.

»Der Fleck«, Regie: Willy Hans, BRD 2024, 94 Min., Kinostart: heute

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