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Aus: Ausgabe vom 10.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Einfach mal zuhören

Imaginierte Inseln: James Griffiths’ Komödie »The Ballad of Wallis Island«
Von Norman Philippen
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Folkies im Meer: Herb McGwyer (Tom Basden, l.) und Charles Heath (Tim Key)

In einer Welt, in der so sehr zählt, wieviel wer für was zahlen kann oder nicht, sollte sich ein hoher Lottogewinn schon auszahlen. Wer sagt, Geld verschaffe den Besitzenden keine Freiheiten, hat die Sache vielleicht nur noch nie durchgedacht. Der doppelte Lottogewinner Charles Heath (Tim Key) konnte sich gewisse Freiheiten durchaus erkaufen. Etwa die, es sich auf der abgelegenen Seite der fiktiven walisischen Insel Wallis Island in einem großen alten Haus mit Tenniscourt gemütlich zu machen. Darauf kann die ehemalige Pflegefachkraft fern jeder Lohnarbeitspflichten den lieben langen Tag spielen. Aber immer nur bis zum Aufschlag, weil gegen sich selbst. Charles ist ein einsamer Mann, der seit sechs Jahren hauptsächlich mit der Inselshopbesitzerin Amanda (Sion Clifford) nicht mehr als geredet hat. Andere Stimmen hört er nur von seinen geliebten Folk-Platten, am liebsten die des Duos »McGwyer Mortimer«, das sich, wie Charles und Frau, schon vor langer Zeit trennte. »Es gibt nur mich, mein Geld und eure wunderbare Musik«, bekennt Charles.

Dies so lange still hingenommene Defizit überkompensierend ist sein Rededrang enorm und möchte filmlang nicht abnehmen, sobald zu Anfang Herb McGwyer auf Wallis Island anlangt. Ja, der Herb McGwyer von »McGwyer Mortimer«, der noch gar nicht weiß, dass Nell Mortimer (Carey Mulligan), Herbs Exduettpartnerin/-frau, auch von Charles auf die Insel gelockt wurde. Ebenfalls für viel, wenn auch, wie es scheint, weniger Geld als die 500.000 Pfund, die Herb für ein Konzert auf der Insel in Aussicht gestellt wurden. Darauf, dass Charles dabei die ganze Crowd bilden soll, war Herb nicht vorbereitet. Noch weniger darauf, auf die seit neun Jahren nicht gesehene Nell zu treffen, zumal die mit neuem Ehemann anreist.

Da sind gewisse, lebenskundigen Guckern gut bekannte interpersonelle Konflikte wohl unvermeidlich, und muss der darin so lange ungeübte Charles sich schon den Mund fusselig reden, um für Harmonie zu sorgen. Denn die sollte laut diesem schön stillen Film nicht nur in der Musik, sondern auch im Menschelnden angestrebt werden, womöglich gar mehr noch als Geld.

Dass diese – zur Beschwichtigung Besitzloser wie gemacht erscheinende, verdächtig nach dramatischer Drögheit klingende – Binse gar nicht so blöd ins Kino kommt, wie es erfahrungsgemäß zu befürchten stand, liegt an drei guten Dingen. Darunter nicht die Dynamik zwischen Herb und Nell, denn Carey Mulligan bleibt als Letztere bloß blass. Im Vergleich nämlich zum über Jahrzehnte eingespielten Komikerduo Tom Basden und Tim Key, die als Dramödienpartner nicht minder harmonieren. Zweitens gab Corona den beiden Gelegenheit, sich für diese Langversion ihres ebenfalls von Regisseur James Griffiths inszenierten Kurzfilms »The One and Only Herb McGwyer Plays Wallis Island« (2007) maßgeschneiderte Rollen mit ebenso passenden Dialogen in ihr Drehbuch zu schreiben. So bleibt Charles nicht einfach die nervtötend exzentrisch kopflose Quasselstrippe vom Beginn, sondern hat im Prozess seiner sehr gelungenen Charakterfeinzeichnung zwischen den zahllosen Unbedachtheiten manch Kluges und Wahres zu sagen. Das gute Drehbuch schafft es zudem, trotz der darin verhandelten Kernromanze an keiner Stelle zur rührseligen Liebesgeschichte zu geraten, sondern »The Ballad of Wallis Island« still und selten sanftmütig sowie ohne Happyend inszeniert nicht nur für Folkfans harmonisch klingend auszusingen. Wer Folk aber mag, wird drittens um so mehr erfreut sein über die 25 Songs, die Tom Basden eigens für den Film schrieb und bei guter Stimme stimmig performt.

Ein Film für alle, die gern am gebrochenen Gartenzaun zwischen dem Gestern und Heute lehnen und dabei gute Gespräche zu führen zu schätzen wissen. Etwa über des Kapitalismus hohle Versprechen, Einsamkeit, die Geld nicht aufwiegen kann, Solidarität statt Konsum, Gender-Pay-Gaps, die Bedeutung kommerzinteressenloser Kunst oder die Bedeutung der Kunst des Zuhörens. Könnte Herb doch am Ende recht haben: »Vielleicht ist das alles, was wir brauchen: einen Moment, in dem wir wirklich zuhören.« Was Charles über die fiktive Insel sagt, gilt auch für »The Ballad of Wallis Island«: »Das ist das Schöne an dieser Insel, die Stille und natürlich die Schönheit. Es ist eine verdammt schöne Insel.«

»The Ballad of Wallis Island«, Regie: James Griffiths, GB 2025, 100 Min., Kinostart: heute

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