Fico-Attentäter vor Gericht
Von Reinhard Lauterbach
Knapp 14 Monate nach dem Mordanschlag auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico am 15. Mai 2024 hat am Dienstag das Verfahren gegen den mutmaßlichen Täter begonnen. Der 72jährige Rentner und nach eigenen Angaben Künstler Juraj Cintula war noch am Tatort festgenommen worden und hatte die Tat gestanden. Ihm droht eine lebenslange Haftstrafe wegen Terrorismus. Ursprünglich lautete die Anklage nur auf versuchten Mord, aber die Staatsanwaltschaft hat die Vorwürfe später erweitert. Vorgesehen sind nur zwei Verhandlungstage. Doch es ist wahrscheinlich, dass das umfangreiche Beweismaterial in dieser Zeit nicht ausgewertet werden kann und der Prozess sich deshalb verlängern wird.
Entscheidend für den Verlauf des Verfahrens dürfte werden, was über die Motive und eventuellen Verbindungen des Attentäters bekannt wird. Cintula selbst stellt sich als Aktivisten für eine liberale Demokratie dar. Bei seiner Festnahme hatte er gerufen, diese möge leben, und erklärt, er habe Fico nicht töten, sondern nur arbeitsunfähig machen wollen. Insbesondere die Kulturpolitik der Regierung sei für ihn ein Ärgernis gewesen. Bisher ist über die Verbindungen des Attentäters wenig – und noch weniger konsistentes – bekannt. Er soll vor Jahren auf einer Versammlung der rechtsliberalen Partei Demokrati fotografiert worden sein, aber auch auf Events von Organisationen, die als prorussisch verschrien sind. Auch wird ihm zur Last gelegt, vor Jahren eine Schrift gegen die in der Slowakei relativ große Minderheit der Roma verfasst zu haben. Wie sich das mit einem Anschlag auf einen Politiker verträgt, der selbst gelegentlich ethnopopulistische Äußerungen tätigt und in einer Koalition mit der romafeindlichen Slowakischen Nationalpartei regiert, ist auf den ersten Blick nicht offensichtlich.
Fico, der bei dem Anschlag schwer verletzt, aber nach zwei Monaten im Krankenhaus nach Hause entlassen wurde, ist in die Politik zurückgekehrt. Er hat den Anschlag auf sich als Argument genutzt, die proeuropäische Opposition schüre Hass in der slowakischen Gesellschaft und spalte diese. Tatsächlich ist Fico im eigenen Land heftig umstritten. Darauf deutet nicht nur die minimale Mehrheit von nur einer Stimme hin, auf die er sich stützen kann. Ihm werden nach wie vor nicht vollständig aufgeklärte Verbindungen zu den Leuten zur Last gelegt, die 2018 den Investigativreporter Ján Kuciak und dessen Verlobte ermordeten, nachdem diese im Umfeld Ficos wegen Korruptionsvorwürfen recherchiert hatten. Der Doppelmord zwang Fico nach großen Protesten seinerzeit zum vorzeitigen Rücktritt. Erst 2023 gelang ihm das politische Comeback.
Über die Grenzen der Slowakei hinaus profiliert sich der Premier in seiner jetzigen Amtszeit als Abweichler von der offiziellen russlandfeindlichen Linie der EU. Er hat als einziger Regierungschef des Staatenbundes an den Feierlichkeiten zum 9. Mai in Moskau teilgenommen und mehrfach gefordert, die Beziehungen zu Russland wieder zu normalisieren. Hinter diesem Plädoyer steht die praktisch hundertprozentige Abhängigkeit der Slowakei von russischen Energielieferungen, die seit dem Jahreswechsel durch die Ukraine unterbrochen worden sind. Seitdem muss sich die Slowakei ihr Gas auf dem internationalen Spotmarkt zusammenkaufen –natürlich zu höheren Kosten.
Dieses Motiv, die Energiekosten im Zaum zu halten, eint Fico auch mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán, obwohl die slowakisch-ungarischen Beziehungen historisch eher angespannt sind. Alles Schnee von gestern. Heute gelten Fico und Orbán dem westeuropäischen Mainstream als »Putins fünfte Kolonne«. Dass Fico ein »Populist« ist, mag sein, allerdings sind diese Beschimpfungen etwas kriterienlos. War er ursprünglich wegen der sozialdemokratischen Orientierung seiner Partei »Smer« (Richtung) als Linkspopulist verschrien, ist er jetzt aufgrund seiner Zusammenarbeit mit Orbán zum Rechtspopulisten mutiert. Letztlich egal: Solange Fico nicht auf den Hauptweg der EU-Politik einschwenkt, wird ihm das P-Wort wohl weiter anhängen.
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