Druck auf Gäste steigt
Von Reinhard Lauterbach
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat seine Drohungen gegen die Siegesparade am 9. Mai in Moskau verschärft. Er könne keinem ausländischen Staatsgast raten, die Veranstaltung zu besuchen, sagte Selenskij nach einem Bericht der offiziösen Agentur Interfax-Ukraina am Sonnabend. Kiew könne für deren Sicherheit nicht garantieren und sei nicht verantwortlich für das, was am kommenden Freitag geschehen könne. Russland könnte »verschiedene Maßnahmen ergreifen, wie Brände, Explosionen, und uns dann die Schuld zuzuschieben«, mutmaßte Selenskij. Ihre Anwesenheit zur Feier des Sieges der Roten Armee über Nazideutschland vor 80 Jahren haben unter anderem der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping und der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva angekündigt.
Unterdessen fiel auf, dass Politiker zweier kleinerer europäischer Staaten sich kurz nacheinander krank meldeten. Erst hatte der serbische Präsident Aleksandar Vučić eine USA-Reise vorzeitig – und sogar vor einem Treffen mit Donald Trump – aus angeblichen Gesundheitsgründen abgebrochen; am Wochenende sagte der slowakische Regierungschef Robert Fico ebenfalls sein Programm unter Berufung auf eine Erkrankung ab. Beide wollen zur Siegesfeier nach Moskau reisen, stehen aber unter erheblichem Druck der EU. Die Slowakei ist Mitglied der Union, Serbien will ihr beitreten. Damit besitzt Brüssel ein Druckmittel, um solche Entspannungsgesten zu verhindern.
Auf die Äußerungen Selenskijs zur Siegesparade reagierte als erster der frühere russische Staatspräsident und jetzige Vizevorsitzende des russischen Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew. Er schrieb, wenn die ukrainische Führung am 9. Mai eine »ernsthafte« Provokation begehe, könne es für Kiew möglicherweise keinen 10. Mai mehr geben. Medwedew bespielt seit Kriegsbeginn das Feld der Ultrachauvinisten, das mit dem Tod von Wladimir Schirinowskij etwas verwaist wirkte. Ungewöhnlich schnell danach gelangte die Äußerung von Staatspräsident Wladimir Putin in die Öffentlichkeit, die auf den ersten Blick wie ein Rüffel aussah: Er sehe keine Notwendigkeit für einen Atomwaffeneinsatz gegen die Ukraine, und er hoffe, dass eine solche auch nie eintrete. Da die Äußerung aber in einem offenbar voraufgezeichneten Interview für eine Fernsehdokumentation zu seinem 25. Amtsjubiläum fiel, liegt die Vermutung nahe, dass der Gegensatz ein inszenierter war. Putin argumentierte, Russland sei stark genug, um den Krieg auch ohne Atomwaffen zum erwünschten und »logischen« Abschluss zu bringen. Anschließend sei eine Verständigung zwischen Ukrainern und Russen »eine Frage der Zeit«.
Zuvor hatte Selenskij den russischen Vorschlag einer dreitägigen Waffenruhe vom 8. bis zum 10. Mai erneut zurückgewiesen. Die Ukraine brauche keinen dreitägigen Waffenstillstand, sondern einen mindestens 30tägigen. Wie ernst dies gemeint ist, lässt sich an einer weiteren Äußerung des ukrainischen Präsidenten ermessen, die ebenfalls Interfax-Ukraina mitteilte: Er sehe bei einem Waffenstillstand die Gefahr, dass die USA die Ukraine gegenüber Russland »allein ließen«. Einstweilen verstärkte Kiew seine Drohnen- und Raketenangriffe auf Ziele auf der Krim und in Südrussland. Am Sonnabend wurden nach russischen Angaben über 100 ukrainische Drohnen und ein gutes Dutzend unbemannter Sprengstoffboote vor der Krim abgefangen und zerstört. In der südrussischen Hafenstadt Noworossijsk gab es Einschläge in Wohnhäuser und mehrere Verletzte. Die Stadt ist inzwischen der Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte. Offenbar wurden erstmals seit Januar auch wieder Raketen des britischen Typs »Storm Shadow« eingesetzt. Russland griff in der Nacht zum Sonntag Ziele in Kiew, Tscherkassy, Odessa und Kriwij Rig an. Dabei wurden nach ukrainischen Angaben elf Personen verletzt.
Von der Front berichten beide Seiten über russische Geländegewinne zwischen Pokrowsk und Kostjantyniwka (Konstantinowka) im Donbass. Russische Truppen haben offenbar inzwischen die Verbindungsstraße zwischen beiden Städten unterbrochen und stoßen nach Norden in Richtung Kostjantyniwka vor. Die Lage für die ukrainischen Einheiten dort wurde von Bloggern der eigenen Seite als »zunehmend schwierig« beschrieben. Russland habe permanent Drohnen in der Luft, die den Nachschub empfindlich störten.
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