Rebellion der Gouverneure
Von Volker Hermsdorf
Wenn Argentinien am Mittwoch seine am 9. Juli 1816 erlangte Unabhängigkeit von Spanien begeht, wird das Stück »Javier allein zu Haus« aufgeführt: Während vor einem Jahr noch 18 Provinzgouverneure der Rede von Staats- und Regierungschef Javier Milei in Tucumán lauschten, wo vor 209 Jahren die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet worden war, hatten bis Dienstag nur zwei der 23 Provinzchefs zugesagt. Deren »bröckelndes Engagement« zeuge von »zunehmender Distanz gegenüber der Regierung in Buenos Aires«, kommentierte die Wirtschaftszeitung Ámbito Financiero.
Zum Nationalfeiertag ist die Stimmung im Land so schlecht wie selten zuvor. Selbst bei Anhängern des selbsternannten Anarchokapitalisten ist die anfängliche Begeisterung über dessen neoliberalen Kurs in Frust umgeschlagen. »Die Kürzungen der nationalen Mittel für die Provinzen sowie das Nichteinhalten zugesagter Zahlungen scheinen Wirkung zu zeigen, so dass die Provinzchefs nun beginnen, ihre Differenzen offen zu zeigen«, beschrieb Ámbito die Situation. »Die Gouverneure sind von der Kettensäge gezeichnet«, formulierte die progressive Tageszeitung Página 12 am Dienstag etwas drastischer. Viele von ihnen klagen über den schlechten Umgangston der Regierung und kämpfen mit finanziellen Engpässen, da die »Aportes del Tesoro Nacional« (ATN) genannten staatlichen Sonderzuweisungen des Finanzministeriums an die Provinzen und Gemeinden ausbleiben und keine Investitionen in die öffentliche Infrastruktur erfolgen. Seit einigen Wochen formiert sich eine Art »Rebellion«. Gouverneure aller politischen Lager brachten kürzlich im Senat zwei Gesetzesvorlagen ein, die von der Regierungsfraktion nicht blockiert werden können. Beide Entwürfe zielen darauf ab, die Verteilung der ATN zu sichern und zu verhindern, dass die explizit für den Straßenbau vorgesehenen Einnahmen aus der Treibstoffsteuer weiterhin blockiert oder zweckentfremdet werden.
Mileis Reaktion brüskierte sogar seine politischen Freunde. Wenn den Provinzen das Geld fehle, liege das daran, dass sie nicht genug gespart hätten, erklärte er. Auf einer Veranstaltung seiner Partei La Libertad Avanza bezeichnete er die Provinzregierungen als »letzten Schützengraben der politischen Kaste«. Den Gouverneur der mit 17,5 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten und flächenmäßig größten Provinz Buenos Aires, den Peronisten Axel Kicillof, verunglimpfte er als »Sowjet« und »Stalins Taube«. Dazu erklärten Regierungsbeamte aus Mileis Umfeld gegenüber örtlichen Medien: »Die Gouverneure bellen, aber sie beißen nicht – und wenn sie beißen, gibt es eine Antwort.« Wie die aussieht, demonstrierte Milei an diesem Montag. Einen Tag vor dem Auslaufen von Sonderrechten für seine Regierung ordnete er gegen den Protest der Gouverneure und der Gewerkschaft der Straßenarbeiter die Schließung zweier staatlicher Behörden für die Sicherheit und Instandhaltung im Straßenverkehr an. In einer Mitteilung gab die Milei-Regierung am selben Tag außerdem die Schließung von sieben weiteren Behörden bekannt. Betroffen sind unter anderem die Institute für Landwirtschaft und für Technologie in der Industrie. Als deren Beschäftigte gegen die Maßnahmen protestierten, marschierte am Montag die Polizei auf.
Die drastische Reduzierung des Staatsapparats ist ein zentrales Element von Mileis neoliberaler Schockpolitik. Nach Angaben des Argentinischen Zentrums für Politische Ökonomie wurden zwischen November 2023 und Mai 2025 rund 52.340 Angestellte entlassen oder deren Verträge nicht verlängert – ein Rückgang um 15,2 Prozent im öffentlichen Dienst. Die verbliebenen staatlichen Bereiche sind chronisch unterfinanziert – sichtbar vor allem in den Provinzen, durch marode Straßen und verfallende Infrastruktur. Im Parlament suchen oppositionelle Abgeordnete deshalb mit zunehmendem Erfolg Allianzen mit Abgeordneten, die den Gouverneuren nahestehen. Deren Bündnis könnte nicht nur Gesetze gegen Mileis Willen durchbringen, sondern auch verhindern, dass La Libertad Avanza das Veto des Präsidenten gegen solche Initiativen absichern kann.
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