Fico bringt Neutralität ins Spiel
Von Dieter Reinisch
Die Slowakei habe kein Interesse, ihre Militärausgaben an die neuen NATO-Vorgaben anzupassen und auch nicht, sich an möglichen kommenden NATO-Kriegen zu beteiligen: Das verkündete der slowakische Regierungschef Robert Fico in einer viel beachteten Antwort auf die Frage eines Journalisten am Dienstag. Bevor sich der Ausschuss über Verteidigungsausgaben im Präsidentenpalast in Bratislava zu Gesprächen traf, erklärte Fico: Die Slowakei werde ihren Verteidigungshaushalt nicht von zwei auf fünf Prozent des BIP erhöhen. So will es die westliche Kriegsallianz bei ihrem Treffen kommende Woche in Den Haag beschließen.
Präsident Peter Pellegrini hatte alle Parlamentsparteien in seinen Palast gebeten, um diesen neuen Vorstoß zu diskutieren. Die Oppositionsparteien Freiheit und Solidarität (SaS) und Progressive Slowakei unterstützen die Erhöhung der Militärausgaben nach NATO-Vorgaben. Anders dagegen Ficos sozialdemokratische Smer-Partei: Fünf Prozent seien sieben Milliarden Euro, sagte der Premierminister. »Das ist fast ein Fünftel des Staatshaushalts.« Er betonte, dass alle Verteidigungsausgaben in Projekte mit doppeltem Verwendungszweck fließen müssten, die der zivilen Wirtschaft zugute kämen, und fügte zur Überraschung vieler hinzu: »Wäre eine Neutralität nicht gut für die Slowakei?« Alle würden das Land in einen Krieg hineinziehen wollen. »Von welchem Krieg reden wir? Wer wird gegen wen kämpfen? Ich weiß es immer noch nicht«, so Fico. Slowakische Medien interpretierten das als Seitenhieb gegen die EU-Unterstützung für die Ukraine.
Während die EU im Gazakrieg und der israelisch-iranischen Eskalation eine zurückhaltende Position einnehme und Frieden und Diplomatie betone, würde sie die Situation in der Ukraine zunehmend anheizen, kritisierte Fico laut der Nachrichtenagentur TASR. Er nehme das als Kriegsvorbereitung wahr. Präsident Pellegrini reagierte auf dessen Äußerungen zur Neutralität mit der Aussage, dass diese für die Slowakei wahrscheinlich viel teurer wäre als die Mitgliedschaft des Landes in der NATO. Die Slowakei werde die Einigkeit auf dem bevorstehenden Gipfel in Den Haag nicht stören, betonte Pellegrini. Gleichzeitig werde die Slowakei darauf bestehen, dass jede Erhöhung über einen möglichst langen Zeitraum verteilt wird. Zudem sollten die Ausgaben für sogenannte Dual-Use-Güter einen erheblichen Teil der Summe ausmachen.
Damit war die Diskussion nicht beendet: Spätabends verlagerte Fico diese auf Facebook und fragte: »Was ist so schockierend an meiner Überlegung, dass Neutralität unter den gegenwärtigen Umständen der Slowakei genauso gut tun würde wie Österreich und der Schweiz?« Die Slowakei dürfe angesichts eines drohenden dritten Weltkriegs nicht in »militärische Abenteuer« hineingezogen werden. Die NATO sei »ein Golfclub« mit steigenden Mitgliedsbeiträgen. Entweder zahlt Bratislava wie bisher sieben Milliarden Euro für Projekte mit doppeltem – also auch zivilem – Verwendungszweck, oder seine Regierung werde die Wähler entscheiden lassen, schrieb Fico.
Im Verteidigungsausschuss war im März im Konsens aller Parlamentsparteien beschlossen worden, dass keine slowakischen Truppen für eine zukünftige Mission in der Ukraine gestellt werden würden. Im Posting fragte Fico weiter: »Wer kümmert sich um die Bedürfnisse der Slowakei, wenn Krieg ausbricht?« Kleine Länder wie die Slowakei hätten für Deutschland und Frankreich keine Priorität. Bezüglich der Ukraine sei er nicht einverstanden mit dem Bestreben der EU, russische Energielieferungen abzuschneiden, insbesondere wenn dies höhere Preise im Inland bedeutet. »Wir helfen der Ukraine mehr als jeder andere – im Wert von 3,5 Milliarden Euro«, sagte er: »Ohne uns würde ihr Stromnetz zusammenbrechen.«
Innenminister Matúš Šutaj Eštok von Ficos Koalitionspartner Hlas erinnerte dagegen in einer Pressemitteilung: »Alle drei höchsten Verfassungsvertreter, darunter der Ministerpräsident, unterzeichneten ein Memorandum zur klaren Verankerung der Slowakei in der EU und der NATO«. Dieses Regierungsmanifest bestimme »unseren Lebens- und Sicherheitsraum«.
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