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Aus: Ausgabe vom 07.06.2025, Seite 8 / Ansichten

Am Abgrund Nihilismus

1.200 Tage Ukraine-Krieg
Von Reinhard Lauterbach
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Bereits 1.200 Tage dauert der Krieg in der Ukraine. Aber ein Ende ist zumindest kurzfristig nicht abzusehen. Die Ukraine ist über die letzten mehr als drei Jahre von ihren westlichen Sponsoren mit Waffen und Geld vollgestopft worden, ohne dass sie das dem Ziel, den Krieg zu gewinnen und Russland eine »strategische Niederlage« beizubringen (Annalena B.), nähergebracht hätte. Auf russischer Seite verzehrt der Krieg ebenfalls menschliche und sachliche Ressourcen – von Gefallenen und Versehrten bis zu fehlenden Kartoffeln und einer anziehenden Inflation. Geht das ewig so weiter?

Womöglich kommt die Wende jetzt aus eben dem Land, das den Krieg 2021 billigend in Kauf genommen hat: den USA. Es mehren sich die Anzeichen, dass die Regierung von Donald Trump allmählich die Lust am Stellvertreterkrieg knapp 8.000 Kilometer östlich von Washington verliert. Beschleunigt könnte diesen Sinneswandel ausgerechnet der ukrainische Verzweiflungsakt vom letzten Sonntag gegen strategische Luftstützpunkte der russischen Armee haben.

Denn Angriffe auf solche strategischen Militärbasen sind nach geltender russischer Nukleardoktrin ein potentieller Anlass für nukleare Gegenschläge. Und an der Stelle werden auch die US-Strategen hellhörig, die bisher den Krieg in der Ukraine nur mit Geld und Material am Laufen gehalten haben. Nukleare Gegenschläge erhöhen das Risiko auch für die USA, die sich bisher »hinter einem schönen blauen Ozean« (Trump) sicher fühlen konnten. Fremde Leben riskieren die USA immer gern – mit eigenen sind sie da deutlich vorsichtiger. Zumindest solange es sich nicht um Afroamerikaner in den Innenstädten US-amerikanischer Großstädte handelt. Aber »Black lives don’t matter« – so wenig wie ukrainische Leben. Aber »Amerika in den dritten Weltkrieg hineinziehen«? Das findet die US-Elite nicht so gut. Vor allem, weil sie gewohnt ist, hineinzuziehen und nicht hineingezogen zu werden.

Die ukrainische Führung weiß inzwischen ziemlich genau, dass sie von den westlichen Sponsoren keine bedingungslose Unterstützung zu erwarten hat, sondern allenfalls eine sehr bedingte. Sie selbst hat dagegen ihr Land – mit Haut und Haaren seiner Bewohner – an eine Strategie der Konfrontation mit Russland verkauft, die von der anderen Seite immer nur eine Option von mehreren war. Deshalb spielt Wolodimir Selenskij va banque: Er will Russland genau zu der nuklearen Überreaktion provozieren, mit deren Hilfe Kiew die USA im Spiel halten will. Was von der Ukraine in diesem Fall übrigbliebe, ist dem Präsidenten egal. Man kann es Nihilismus nennen. Es ist der Nihilismus der Verzweiflung, auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Bisher hat Russland der Versuchung widerstanden, in Selenskijs Falle zu tappen. Aber garantiert für immer ist das nicht.

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