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Aus: Ausgabe vom 06.06.2025, Seite 8 / Ansichten

Spiel mit dem Feuer

Angriff auf Atombomber Russlands
Von Arnold Schölzel
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Der ukrainische Angriff auf Russlands Bomberflotte setzt Sicherheitsregeln aus dem Kalten Krieg außer Kraft (Belaja, 4.6.2025)

Die Regierenden in Kiew haben mehrfach deutlich gemacht, dass sie bereit sind, Russland als Atommacht herauszufordern. Bereits im Sommer 2022 schickten sie Drohnen zum Militärflughafen Engels, auf dem Bomber der strategischen russischen Flotte stationiert sind. Im Mai 2024 zerstörten sie Teile der Radarstation Armawir in der südwestlichen russischen Region Krasnodar. Armawir ist Teil des russischen Frühwarnsystems zur Erkennung von Angriffen mit Interkontinentalraketen. Das übertraf jede Eskalation bis dahin. Russland beschuldigte die USA der Mithilfe.

Die ukrainischen Angriffe am vergangenen Sonntag gegen russische Militärflughäfen, auf denen gemäß internationalen Verträgen Atombomber unter freiem Himmel geparkt wurden, stellten das erneut in den Schatten. Diesmal war es ein US-Vertreter, der besorgt reagierte. Trumps Sondergesandter für die Ukraine, Keith Kellogg, erklärte: »Wenn man einen Teil des nationalen Überlebenssystems eines Gegners angreift, nämlich seine Triade, die nukleare Triade, dann steigt das Risiko, weil man nicht weiß, was die andere Seite tun wird.« Der angerichtete Schaden sei »weniger wichtig als die psychologischen Auswirkungen«. Donald Trump hielt es für nötig, in seinem Telefonat mit Wladimir Putin zu beteuern, dass »die Amerikaner nicht vorab hierüber informiert« worden seien – so die Darstellung von Putins Berater Juri Uschakow. Trump selbst stellte das Thema in seinem eigenen Bericht auf seiner Social-Media-Plattform an die erste Stelle: Putin habe »mit Nachdruck« betont, er habe auf die Angriffe zu antworten.

Die Sache ist ernst. Die moralische Erpressung der Kiewer Führung gegenüber ihren eigenen Sponsoren gehört zur politischen Genetik der Stellvertreterkrieger. Sie war nach dem Putsch 2014 nie bereit, die beiden Minsker Abkommen zu erfüllen; ihre Überlebensstrategie bestand aber bis 2022 darin, so zu tun als ob, um immer höhere Einsätze im Westen locker zu machen. Seit der russischen Ausdehnung des Krieges 2022 hat sie die Ukraine zu einem Fass ohne Boden für westliche Finanzen und Waffen gemacht. Der Biss in die nährende Hand gehört dazu; das Spiel mit dem atomaren Feuer hat aber eine andere Qualität. Die USA sind zwar gewohnt, dass von ihnen im Kampf gegen die großen Gegner China und Sowjetunion beziehungsweise Russland geschaffene Hilfstruppen, die allein fürs Verheizen gedacht waren, sich gegen ihre Schöpfer wenden – man denke an Afghanistan, Irak und Libyen –, aber das Antasten der atomaren Waffengleichheit ist von anderem Kaliber, betrifft die USA selbst.

Auffällig war nach den Attacken vom Sonntag das Schweigen in den EU-Hauptstädten. Erschrecken? Wohl kaum. Bisher halten Washington und Berlin an der am 10. Juli 2024 verkündeten Stationierung atomwaffenfähiger Raketen in der Bundesrepublik ab 2026 fest. Das ist mehr als ein Spiel mit dem Feuer.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Roland W. aus 08280 Aue (6. Juni 2025 um 11:59 Uhr)
    »Spiel mit dem Feuer« – Spiel mit dem Gedanken? Wenn sich die Szenarien der militärisch-industriellen globalen Kriegstreiber nicht so sehr ähnlich wären, nicht so sehr an den Drang in die ersten Weltkriege erinnerten, wäre vielleicht z. T. überhebliche Sorglosigkeit in Teilen der Bevölkerung zu verstehen. Noch weniger zu verstehen, wenn mitten im »Spiel mit dem Feuer«, einem unvergleichlich vernichtenderem Feuer gegenüber dem Vergangenen, bemerken, wie sich eher nicht wahnsinnig gebildet, wissend vorkommende Menschen weit mehr der realen Gefahren bewusst sind, Erfahrungen, Lehren des Vergangenen in sich tragen. Reste proletarischen Bewusstseins leben auch noch in den Köpfen der Generationen jenseits der 50, 60 an Lebensjahren. Kriegserfahrungen, -erleben, Erzähltes der Eltern und Großeltern scheint nachhaltiger vorhanden, als es Schulen oder alle »freiheitlich-demokratischen«, modernste Medien vermochten oder heute »lehren«. Das ist gut. War es nicht schon immer so? Eingebildete Gebildete haben nie etwas selbst begriffen, schon gar nichts in der proletarischen Geschichte beigetragen. An den proletarisch Gebildeten fehlt es uns gerade. Die Marx, Engels, Lenin u. a. wachsen nicht zu jeder Zeit, die sie nötig hätten. Ihren Geist besitzen wir, wie die Klasse existiert, in welchem Zustand auch. Über der Kulturhauptstadt Chemnitz, der der Name »Karl Marx« genommen werden musste, da liegt schwer und unauslöschbar, täglich sich in Erinnerung bringend der Geist des Marxismus. Die sozialen Menschenrechte, Kriegsgefahren, Rüstung, Entfremdung des Menschen, wer kann das noch wirklich ausblenden und verdrängen? Roland Winkler
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in André M. aus Berlin (6. Juni 2025 um 12:54 Uhr)
      Schöne und nachvollziehbare Reflexion … ich bin voll einverstanden!
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. Juni 2025 um 21:33 Uhr)
    So einfach, wie es im Artikel dargestellt wird, ist die Angelegenheit nicht. Ohne die Satellitendaten der USA wäre die Ukraine so gut wie blind – wie ein Maulwurf im Dunkeln. Erst die präzisen Aufklärungsdaten der Vereinigten Staaten haben diese gezielten Militärschläge überhaupt ermöglicht. Dass sich Washington davon freisprechen will, ist wenig glaubwürdig. Nicht ohne Grund forderte der Kreml von Donald Trump eine öffentliche Distanzierung von den Angriffen. Trotzdem ist zu erwarten, dass Russland auf diese Provokation militärisch reagieren wird – so sicher wie das Amen in der Kirche.

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