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Aus: Ausgabe vom 04.06.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Transatlantische Partnerschaft

Von Jörg Kronauer
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Die BRD wurde von den USA lange an der kurzen Leine gehalten, wird aber bissiger (Joe Biden mit deutschem Schäferhund)

Die transatlantische Partnerschaft hat zwei »Eltern«: den Zweiten Weltkrieg und die Systemkonfrontation. Deutschlands zweiter Versuch, per Weltkrieg zur Weltmacht aufzusteigen, war mit seiner Niederlage 1945 gescheitert. Der herrschenden Klasse in Westdeutschland blieb vorläufig nichts anderes übrig, als sich mit den Siegermächten zu arrangieren, und das hieß vor allem: mit deren stärkster, den USA. Die wiederum waren daran interessiert, ihren einstmaligen Absatzmarkt und Produktionsstandort Deutschland – man denke nur an die Ford-Werke in Köln – auf lange Sicht wieder in Gang zu bringen. Also wurde Westdeutschland bald wieder aufgebaut, in enger transatlantischer Verflechtung sowie zu beiderseitigem Nutzen. Es kam hinzu, dass die Vereinigten Staaten im rasch eskalierenden Systemkonflikt einen starken Frontstaat benötigten; das öffnete die Tür für die Aufrüstung der Bundesrepublik, freilich auch dies im transatlantischen Bündnis.

Für die herrschende Klasse des Reichs, die nun zur herrschenden Klasse der BRD geworden war, war die enge transatlantische Kooperation ein echter Glücksfall. Es dauerte keine zwei Jahrzehnte, da war die Bundesrepublik im Westen die (in mehrfachem Wechsel mit Japan) zweit- oder drittgrößte Wirtschaftsmacht hinter den USA. Auch militärisch erstarkte sie rasch. Von Kriegsniederlage war schon bald nichts mehr zu sehen: das westdeutsche Kapital blühte und gedieh. Voraussetzung dafür blieb Bonns enge Zusammenarbeit mit Washington, die nicht auf das Feld von Ökonomie und Militär beschränkt blieb, sondern die auch die Wissenschaft, Medien und Kultur umfasste. Die gewisse Abhängigkeit, die daraus entstand, lohnte sich aber. Dies nicht zuletzt, als ab Ende 1989 auf einmal die Übernahme der DDR möglich schien. Während Frankreich und Großbritannien sich aus gutem Grund unwillig gaben, setzten die USA die territoriale Ausdehnung ihres Juniorpartners durch.

Doch wie es so ist: Alles hat zwei Seiten. Die Bundesrepublik ist im Bündnis mit den USA stark geworden – so stark, dass sie mehr verlangt. Das deutsche US-Geschäft lohnt sich nach wie vor: US-Investitionen in der Bundesrepublik im Wert von 145 Milliarden Euro stehen deutsche Investitionen in den USA in Höhe von 425 Milliarden Euro gegenüber. Deutschland exportiert Waren im Wert von 161 Milliarden Euro in die Vereinigten Staaten, importiert aber Waren im Wert von nur 91 Milliarden Euro von dort: Der Außenhandelsüberschuss von gut 70 Milliarden Euro im Jahr 2024 war Rekord. Er wird auch durch den US-Überschuss bei den Dienstleistungen nicht ausgeglichen. So viel Stärke verlangt nach mehr, nach einer eigenständigen Weltmachtposition, wie sie die BRD eigentlich seit vielen Jahren mit der EU anstrebt. Eigentlich – denn bislang kam immer irgend etwas dazwischen: die Eurokrise etwa, innere Machtkämpfe, der Ukraine-Krieg.

Spätestens mit dem zweiten Amtsantritt von Donald Trump hat sich die Lage nun aber geändert. Washington fordert neue Geschäftsbedingungen ein: Deutschland und die EU sollen erheblich mehr in das transatlantische Bündnis einzahlen, ökonomisch wie auch militärisch. Die Trump-Administration erhebt zudem Anspruch auf EU-Territorien – auf Grönland – und dringt auf eine massive Rechtsverschiebung im Inneren der EU, fördert beispielsweise die AfD. Dies schränkt die Handlungsspielräume der herrschenden Klasse in der Bundesrepublik doch sehr ein und kostet viel Geld – zu viel: Es müsse jetzt »absolute Priorität haben«, teilte Friedrich Merz noch am Abend seines Wahlsieges mit, »so schnell wie möglich Europa so zu stärken«, dass es »Unabhängigkeit« von den USA erlangen könne. Vor diesem Hintergrund reist Merz am Donnerstag in die USA. Ob es gelingt, das stolze Ziel im Laufe der Zeit durchzusetzen? Wer weiß. Es wird Ausdauer und Hartnäckigkeit verlangen.

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  • Leserbrief von Emmo Frey aus Dachau (5. Juni 2025 um 15:49 Uhr)
    Sie beschreiben das seit dem deutschen Kaiserreich vorhandene Wunschdenken der deutschen Eliten sehr treffend: »So viel Stärke verlangt nach mehr, nach einer eigenständigen Weltmachtposition.« Mit den deutschen Machtansprüchen in der Welt wurde es schon zweimal nichts, Weltkrieg eins ging schief, Weltkrieg zwo endete in der großen Katastrophe! Deutschland will immer wieder eine Führungsmacht in der Weltpolitik sein, kann es aber nicht. Das hat Ursachen, bis 1871 war Deutschland ein Konglomerat aus provinziellen Königtümern und weiteren Kleinstaaten. Weltpolitik machten und konnten andere, England, Spanien, Frankreich, die Niederlande, Österreich-Ungarn. Selbst Norweger oder Schweden waren global aktiver als deutsche Provinzherrscher. Das hängt uns weiter an und wird deutlich, wenn man deutsche Politiker wie Baerbock oder Habeck im Ausland herumhampeln sah, zum Fremdschämen! Den Herrn Merz würde Gerhard Polt vermutlich als »Zwetschgenmanderl« bezeichnen.
    Und jetzt also wieder, Deutschland will ganz vorne mitreden, übersieht aber offenbar alle Realitäten in dieser Welt. Es dürfte also wieder schiefgehen. Wann wirft die deutsche Politik endlich ihre unangemessene Überheblichkeit über Bord? (Es gab auch Ausnahmen, Willy Brandt war Weltpolitiker, hat er im Ausland gelernt.)
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (3. Juni 2025 um 22:29 Uhr)
    Die Rechtsverschiebung in Deutschland zu fördern hat hundert Jahre Tradition in den USA. Wer von dort zahlte wieviel an die NSDAP? Die »Tante Ju« (Junkers 52/3m) wurde von Sternmotoren angetrieben, für die »bis zum Schluss« Lizenzgebühren in die USA entrichtet wurden. Wie wurde finanziert? U.a. so: »Seit August 1942 lieferte der dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt angehörige Hauptsturmführer Bruno Melmer Schmuck, Devisen, Münzen und Edelmetalle, darunter auch Zahngold, an die Reichsbank, welches den Opfern des Holocaust in Osteuropa im Zuge der «Aktion Reinhardt» in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor, Treblinka und Auschwitz geraubt worden war. Die Reichsbank behielt die Devisen, Schmuckstücke wurden an die Berliner Pfandleihanstalt übergeben, während das Gold eingeschmolzen wurde. Der aus Verwertung und Verkauf des Raubgutes erzielte Gewinn wurde einem Konto der SS zugeführt und ein großer Teil des eingeschmolzenen Goldes zur Kriegsfinanzierung an Schweizer Banken verkauft.« (https://germanhistorydocs.org/de/deutschland-nationalsozialismus-1933-1945/eidesstattliche-erklaerung-albert-thoms-ueber-die-lieferung-von-wertgegenstaenden-von-opfern-der-todeslager-an-die-reichsbank-26-mai-1948) Die Schweizer Banken leiteten auch Lizenzgebühren über den Atlantik weiter. Die Atlantikbrücke ist also nicht so neu.

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