Rotlicht: Transatlantische Partnerschaft
Von Jörg Kronauer
Die transatlantische Partnerschaft hat zwei »Eltern«: den Zweiten Weltkrieg und die Systemkonfrontation. Deutschlands zweiter Versuch, per Weltkrieg zur Weltmacht aufzusteigen, war mit seiner Niederlage 1945 gescheitert. Der herrschenden Klasse in Westdeutschland blieb vorläufig nichts anderes übrig, als sich mit den Siegermächten zu arrangieren, und das hieß vor allem: mit deren stärkster, den USA. Die wiederum waren daran interessiert, ihren einstmaligen Absatzmarkt und Produktionsstandort Deutschland – man denke nur an die Ford-Werke in Köln – auf lange Sicht wieder in Gang zu bringen. Also wurde Westdeutschland bald wieder aufgebaut, in enger transatlantischer Verflechtung sowie zu beiderseitigem Nutzen. Es kam hinzu, dass die Vereinigten Staaten im rasch eskalierenden Systemkonflikt einen starken Frontstaat benötigten; das öffnete die Tür für die Aufrüstung der Bundesrepublik, freilich auch dies im transatlantischen Bündnis.
Für die herrschende Klasse des Reichs, die nun zur herrschenden Klasse der BRD geworden war, war die enge transatlantische Kooperation ein echter Glücksfall. Es dauerte keine zwei Jahrzehnte, da war die Bundesrepublik im Westen die (in mehrfachem Wechsel mit Japan) zweit- oder drittgrößte Wirtschaftsmacht hinter den USA. Auch militärisch erstarkte sie rasch. Von Kriegsniederlage war schon bald nichts mehr zu sehen: das westdeutsche Kapital blühte und gedieh. Voraussetzung dafür blieb Bonns enge Zusammenarbeit mit Washington, die nicht auf das Feld von Ökonomie und Militär beschränkt blieb, sondern die auch die Wissenschaft, Medien und Kultur umfasste. Die gewisse Abhängigkeit, die daraus entstand, lohnte sich aber. Dies nicht zuletzt, als ab Ende 1989 auf einmal die Übernahme der DDR möglich schien. Während Frankreich und Großbritannien sich aus gutem Grund unwillig gaben, setzten die USA die territoriale Ausdehnung ihres Juniorpartners durch.
Doch wie es so ist: Alles hat zwei Seiten. Die Bundesrepublik ist im Bündnis mit den USA stark geworden – so stark, dass sie mehr verlangt. Das deutsche US-Geschäft lohnt sich nach wie vor: US-Investitionen in der Bundesrepublik im Wert von 145 Milliarden Euro stehen deutsche Investitionen in den USA in Höhe von 425 Milliarden Euro gegenüber. Deutschland exportiert Waren im Wert von 161 Milliarden Euro in die Vereinigten Staaten, importiert aber Waren im Wert von nur 91 Milliarden Euro von dort: Der Außenhandelsüberschuss von gut 70 Milliarden Euro im Jahr 2024 war Rekord. Er wird auch durch den US-Überschuss bei den Dienstleistungen nicht ausgeglichen. So viel Stärke verlangt nach mehr, nach einer eigenständigen Weltmachtposition, wie sie die BRD eigentlich seit vielen Jahren mit der EU anstrebt. Eigentlich – denn bislang kam immer irgend etwas dazwischen: die Eurokrise etwa, innere Machtkämpfe, der Ukraine-Krieg.
Spätestens mit dem zweiten Amtsantritt von Donald Trump hat sich die Lage nun aber geändert. Washington fordert neue Geschäftsbedingungen ein: Deutschland und die EU sollen erheblich mehr in das transatlantische Bündnis einzahlen, ökonomisch wie auch militärisch. Die Trump-Administration erhebt zudem Anspruch auf EU-Territorien – auf Grönland – und dringt auf eine massive Rechtsverschiebung im Inneren der EU, fördert beispielsweise die AfD. Dies schränkt die Handlungsspielräume der herrschenden Klasse in der Bundesrepublik doch sehr ein und kostet viel Geld – zu viel: Es müsse jetzt »absolute Priorität haben«, teilte Friedrich Merz noch am Abend seines Wahlsieges mit, »so schnell wie möglich Europa so zu stärken«, dass es »Unabhängigkeit« von den USA erlangen könne. Vor diesem Hintergrund reist Merz am Donnerstag in die USA. Ob es gelingt, das stolze Ziel im Laufe der Zeit durchzusetzen? Wer weiß. Es wird Ausdauer und Hartnäckigkeit verlangen.
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Und jetzt also wieder, Deutschland will ganz vorne mitreden, übersieht aber offenbar alle Realitäten in dieser Welt. Es dürfte also wieder schiefgehen. Wann wirft die deutsche Politik endlich ihre unangemessene Überheblichkeit über Bord? (Es gab auch Ausnahmen, Willy Brandt war Weltpolitiker, hat er im Ausland gelernt.)