Identität auslöschen
Von Knut Mellenthin
Außerhalb Israels ist das eindeutige Bekenntnis zum Genozid an den Einwohnern des Gazastreifens kaum bemerkt worden: Am vorigen Mittwoch nannte der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu während einer großen Pressekonferenz zum ersten Mal explizit die Umsetzung des »Trump-Plans« als eines der zentralen Ziele seiner Regierung und als eine der unverzichtbaren Voraussetzungen für die Beendigung des Krieges. Gemeint ist die Vertreibung der rund zwei Millionen Bewohner der von den israelischen Streitkräften seit über anderthalb Jahren abgeriegelten und systematisch verwüsteten Enklave, ohne dass bisher ein einziges potentielles Aufnahmeland bekannt ist. Wörtlich erklärte Netanjahu der Internettageszeitung Times of Israel vom 22. Mai zufolge, er werde einer Beendigung des Krieges nur »unter klaren Bedingungen« zustimmen, »die die Sicherheit Israels gewährleisten: Alle Geiseln kommen nach Hause, Hamas legt die Waffen nieder, tritt von der Macht ab, ihre Führung geht ins Exil, (…) Gaza wird völlig entwaffnet, und wir führen den Trump-Plan aus.«
Der US-Präsident reagierte auf diese Äußerungen bisher nicht öffentlich. Donald Trump hatte den »Plan« am 4. Februar quietschvergnügt und stolz als seine eigene Idee vorgestellt, während er gerade Netanjahu im Weißen Haus zu Gast hatte. In Wirklichkeit stammt höchstens der Titel »Riviera of the Middle East« von Trump selbst. Schon im Oktober 2023 hatten alle israelischen Medien in großem Umfang über ein unveröffentlichtes, aber gezielt »durchgesickertes« Papier aus dem Geheimdienstministerium berichtet. Der Inhalt kurz zusammenfasst: die »Umsiedlung« der Bevölkerung des Gazastreifens in riesige »Zeltstädte« im Norden der ägyptischen Sinaihalbinsel. Datiert war das Memorandum auf den 13. Oktober 2023, nur eine Woche nach dem von der Hamas organisierten Überfall auf israelisches Gebiet im Süden des Gazastreifens. Wahrscheinlich war das Papier ein längst bereitliegender Entwurf aus der Schublade. Das gilt auch für eine Studie aus dem israelischen »Institute for National Security and Zionist Strategy« mit weitgehend identischem Inhalt, die noch vor dem Memorandum des Geheimdienstministeriums in die Medien gelangt war.
Was bisher zur angeblichen Suche der USA und Israels nach möglichen Aufnahmeländern bekannt wurde, ist haarsträubend. Es muss als albernes Spielmaterial und Ablenkungsversuch bewertet werden: Somalia, das von diesem seit 1991 abgespaltene, von keinem Staat der Welt anerkannte Somaliland, und sogar der im Bürgerkrieg versinkende Sudan. Ähnliches gilt für Libyen, das der US-Sender NBC am 19. Mai ins Gespräch brachte: Angeblich prüfe die Trump-Administration »ernsthaft« einen Plan, eine Million Palästinenser aus dem Gazastreifen dorthin zu schaffen. Im Gegenzug könnten die USA mehrere Milliarden Dollar libysche Guthaben freigeben, die sie im Zusammenhang mit dem Umsturz 2011 eingefroren hatten.
Gegenwärtig realistischer scheint, was in der Rechtsaußentageszeitung Jerusalem Post am 6. Mai als »Ausdehnung des Trump-Plans auf die Flüchtlinge von 1948« angepriesen wurde: Nach der Erzählung des Autors, Gol Kalev, »gibt der Trump-Umsiedlungsplan den Gazaflüchtlingen nicht nur eine Chance, anderswo ein besseres und sichereres Leben zu führen, sondern sich auch von unterdrückerischen westlichen Dogmen zu emanzipieren«. Kalev spricht von »Palästinismus«, den »Europa und seine Helfer« den Palästinensern aufgezwungen hätten, um Israel und auf diesem Weg auch die USA zu bekämpfen. Praktisch geht es dabei jenseits von Gaza und Westbank vor allem um die Palästinenser in Ländern wie Syrien, Libanon und Jordanien, denen der Flüchtlingsstatus entzogen werden soll, den sie ohnehin nicht alle haben. Erste Versuche in Syrien und im Libanon sind in Arbeit. Kritiker in der arabischen Welt sprechen von einem israelischen »Sicherheitsmanagement« gegenüber diesen beiden Staaten.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. Mai 2025 um 20:47 Uhr)Zum Nachlesen: https://www.deutschlandfunk.de/800-000-menschen-entwurzelt-und-531-doerfer-zerstoert-100.html , Eine Rezension von Marcel Pott (03.09.2007). Lang ists her, wie lange ist der Beitrag noch verfügbar?
- Antworten
Ähnliche:
- Ismael Mohamad/UPI Photo/imago24.05.2025
»I can’t breathe«
- Susana Vera/REUTERS21.05.2025
Todesmaschinen vom Bodensee
- Newscom World/IMAGO17.05.2025
Wir werden zurückkehren!
Mehr aus: Ausland
-
Massenvertreibungen in Gaza
vom 28.05.2025 -
Nein zum »Sicherheitsdekret«
vom 28.05.2025 -
Streit um Parteineugründung
vom 28.05.2025 -
Ultimatum an eigene Regierungskoalition
vom 28.05.2025 -
Kabila wittert seine Chance
vom 28.05.2025