Terrorkeule gegen humanitäre Helfer
Von Nick Brauns
Aus Sicht der Bundesregierung handelt es sich bei den von der Russischen Föderation nach einem Referendum 2023 zum eigenen Territorium gezählten ostukrainischen Volksrepubliken Donezk und Lugansk um »terroristische Vereinigungen im Ausland«. Am Dienstag ließ der Generalbundesanwalt Häuser, Wohnungen und Büroräume von Mitgliedern des Vereins »Friedensbrücke – Kriegsopferhilfe e. V.« in Berlin sowie im brandenburgischen Wandlitz und Königs Wusterhausen unter dem Vorwurf der Unterstützung solcher Vereinigungen durchsuchen. Möglich ist ein Ermittlungsverfahren nach Strafrechtsparagraph 129 b nur, wenn zuvor das Bundesjustizministerium seine Ermächtigung erteilt hat.
Der 2015 in Wandlitz gegründete Verein leistete nach Beginn des ukrainischen Bürgerkriegs infolge des Maidan-Putsches nach eigenem Bekunden humanitäre Hilfe für die von der Kiewer Armee und teils offen nazistischen Milizen bedrängten russischsprachigen Bewohner des Donbass. Die Vereinsvorsitzende Liane Kilinc spricht von über 800 Projekten, die in zehn Jahren nach dem Konzept »Hilfe zur Selbsthilfe« umgesetzt wurden. So wurden etwa Nähmaschinen zum Aufbau einer Nähwerkstatt geliefert oder Baumaterial zur Reparatur von Schulen und Kindergärten. Die Generalbundesanwaltschaft wirft dem Verein allerdings vor, bis 2022 auch die Selbstverteidigungskräfte der Volksrepubliken unterstützt zu haben.
Durchsucht wurden vom Bundeskriminalamt unter anderem das Vereinsbüro in Berlin-Friedrichshain sowie die Wohnung des Kassenwarts, berichtete zuerst die Süddeutsche Zeitung über die Razzien. Gegen Kilinc und eine weitere Person hat der Generalbundesanwalt Haftbefehle erlassen, die nicht vollstreckt werden konnten, da sich die beiden Gesuchten in Russland aufhalten sollen. Zumindest Kilinc hat dies nicht verheimlicht. Seit August 2022 lebt die 53jährige in Moskau. Dort erhielt sie 2023 politisches Asyl und im April dieses Jahres auch die russische Staatsbürgerschaft. Weiterhin engagiert sie sich in der Donbass-Hilfe, wie sie im Januar in einem Interview erklärte.
Repressalien hat der Verein bereits in der Vergangenheit erfahren. So wurden etwa seine Konten gekündigt. Zudem sei ihm die Gemeinnützigkeit wegen »politischer Tätigkeiten außerhalb der Satzung« entzogen worden, berichtete die B. Z. Anfang 2023. Reporter des Springer-Blattes hatten zuvor dem Brandenburger Finanzamt ein Foto vorgelegt, das Vereinsvorstände mit der Fahne der Volksrepublik Donezk vor einem zivilen Lkw mit einem Z-Symbol zeigte.
Auch jetzt wurde das staatliche Vorgehen medial vorbereitet. So hatte der Tagesspiegel am 5. Mai unter der Überschrift »Kreml-Propaganda auf dem Odesaplatz: Moskau-naher Verein demonstriert in Berlin-Karlshorst« Stimmung gemacht. Hintergrund des langen Beitrags war eine Gedenkkundgebung anlässlich des Jahrestags des Pogroms ukrainischer Faschisten im Gewerkschaftshaus von Odessa am 2. Mai 2014. Auf der Veranstaltung mit knapp zwei Dutzend Teilnehmern hatte auch eine Aktivistin der »Friedensbrücke« gesprochen.
In dem Tagesspiegel-Beitrag heißt es, der Verein organisiere »angebliche Hilfskonvois«, doch gebe es Zweifel, ob wirklich nur zivile Hilfsgüter transportiert werden. Zum Beleg wird die 2023 von dem in Estland ansässigen Investigativportal The Insider getätigte Behauptung wiederholt, die »Friedensbrücke« habe sogenannte Dual-Use-Güter, darunter zwei Tonnen Schmieröl, an Milizen geliefert. Hilfstransporte aus Deutschland habe der Verein nach eigenen Angaben bereits 2022 infolge westlicher Sanktionsdrohungen beenden müssen.
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Leserbrief von Niels Neudeck aus Wandlitz (28. Mai 2025 um 08:41 Uhr)Langsam wird es lächerlich. »Razia gegen Terrorunterstützer?« Ich glaube 2015 oder später, berichtete die MOZ und auch RBB noch wohlwollend über den Verein. Ich weiß auch, dass einige Gemeindevertreter und viele Bürger aus Wandlitz Gelder gespendet haben. Sind das jetzt alle Terrorunterstützer und müssen befürchten, dass Hausdurchsuchungen und Festnahmen anstehen? Ich selber habe auf Grund der Berichterstattung des RBB 20 Euro gespendet. Werde ich jetzt deshalb eingesperrt? Oder gehöre ich jetzt einer großen prorussischen Terrorzelle in Wandlitz an? Langsam nimmt die Russenphobie erschreckende Ausmaße an. Kränze, die zum Gedenken am Tag der Befreiung in Klosterfelde niedergelegt wurden, werden gestohlen usw. (Auch wenn die von der AfD waren, kein Grund die zu entfernen)
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