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Aus: Ausgabe vom 01.03.2024, Seite 2 / Inland
Grundrecht auf Meinungsfreiheit

»Die Justiz will immer aggressiver vorgehen«

Berlin: Friedensaktivist nach Rede zu Ukraine-Krieg in zweiter Instanz freigesprochen. Ein Gespräch mit Heinrich Bücker
Interview: Marc Bebenroth
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Kriegsgegner und »Putin-Versteher« wurden unmittelbar nach dem russischen Einmarsch scharf angegangen (Berlin, 9.5.2022)

Die Berliner Staatsanwaltschaft ist am Montag erneut damit gescheitert, Sie wegen der »Billigung von Angriffskriegen« verurteilen zu lassen. Womit haben Sie diesen Verfolgungseifer ausgelöst?

Ich hatte am 22. Juni 2022 am sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park eine Rede gehalten. Anlass war das »Unternehmen Barbarossa«, der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion 1941, der sich zum 81. Mal jährte. In meiner Rede hatte ich auf die ganze Geschichte des Ukraine-Krieges aufmerksam gemacht und offen über meine Grundhaltung zur russischen Regierung gesprochen, die ich nicht unbedingt völlig verurteile. Schließlich kam das Ganze zur Anzeige durch einen Berliner Rechtsanwalt. Vor dem Amtsgericht wurde für mich eine Geldstrafe in Höhe von 2.000 Euro gefordert. Im April 2023 war die erste Verhandlung. Nachdem ich freigesprochen worden war, ging die Staatsanwaltschaft in Berufung.

Auch das Landgericht wollte Sie nicht verurteilen, obwohl es feststellte, dass Sie den Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine in Ihrer Rede gutgeheißen hatten. Wie wurde das begründet?

Erst mal wies der Richter darauf hin, dass die Meinungsfreiheit ein hohes Gut sei. Er führte Beispiele dafür an, wann der Tatbestand der Gefährdung des öffentlichen Friedens gegeben sei. Wenn jemand einen Amoklauf guthieße, wäre das ein Aufruf zur Gewalt. Meine Stellungnahme dagegen falle noch unter Meinungsfreiheit, weil sie nicht zur Aufwiegelung der Bevölkerung geführt habe.

Ging es um die gesamte Rede, einen Satz oder eine bestimmte Wortwahl?

Der Dreh- und Angelpunkt war im Prinzip meine Einschätzung, dass die russische Regierung und Präsident Putin eine gewisse Begründung dafür hatten, diese militärische Operation einzuleiten.

Welche Begründung meinen Sie?

Sie sahen sich in die Enge gedrängt durch die NATO-Osterweiterung und die Umzingelung Russlands in den letzten Jahren – seit 1991, seit Gorbatschow gesagt hat: Das darf nicht sein, dass sich die NATO in irgendeiner Weise Richtung Osten ausweitet. Ich habe dann auch argumentiert, dass seitdem mehr als ein Dutzend Staaten der Kriegsallianz beigetreten sind, die alle östlich des Gebietes der DDR liegen. Da ist es aus meiner Sicht ganz klar, dass Russland darin eine Bedrohung sieht.

Und ist das, was das Landgericht feststellte, auch Ihre persönliche Position?

Das mache ich mir insofern zu eigen, als ich durchaus das Verhalten der russischen Regierung in gewisser Weise billige, weil sie sich eben bedroht gefühlt hatte. Die Position vertrete ich auch immer in meinem Antikriegscafé, das ich betreibe.

Dieses trägt die Antikriegsposition im Namen. Sie lehnen also auch diesen Krieg in der Ukraine ab?

Ich lehne alle Kriege ab, grundsätzlich. Das habe ich auch vor Gericht so gesagt. Man muss Kriege aber auch einordnen, zum Beispiel in die Kategorien von Verteidigung und Angriff. Die Position der NATO ist eine Angriffsposition. Sie will Russland zerschlagen und zertrümmern. Das ist der ganze Grund für diesen Konflikt.

Hat sich das Verfahren gegen Sie mit der Entscheidung vom Montag erledigt?

Die Staatsanwaltschaft kann wohl bis Dienstag noch in Revision gehen. Das halte ich auch nicht für unwahrscheinlich.

Nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine gab es großen Druck auf diejenigen, die nicht die Position der Bundesregierung teilen. Dies ist nach dem Angriff der Hamas auf israelische Stellungen und Massakern an Zivilisten am 7. Oktober 2023 wieder der Fall. Ist das ein Muster, an das wir uns gewöhnen müssen, wenn die BRD sich an die Seite eines kriegführenden Staates stellt?

Das sehe ich schon so. Das ist mit diesem Verfahren und insgesamt zu beobachten. Die Justiz versucht, immer aggressiver vorzugehen. Die Dämonisierung der Russen und auch der Palästinenser ist enorm …

Was bedeutet das für die Gegnerinnen und Gegner von Krieg? Werden Sie Ihre Position künftig nicht mehr artikulieren?

Was das insgesamt bedeutet, kann ich nicht einschätzen. Es führt auf jeden Fall in eine falsche Richtung. Ich würde meine Ansichten immer noch so ausdrücken, wie ich das getan habe. In meinem Café diskutiere ich auch mit Leuten, die ganz anderer politischer Meinung sind. Mir ist es sehr wichtig, dass man in Kontakt bleibt, miteinander redet.

Heinrich Bücker ist Betreiber des »Coop Anti-War Café« in Berlin-Mitte

kurzelinks.de/Stellungnahme-Buecker

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