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Leserbrief zum Artikel Kommentar: Die Selbstgerechte vom 10.04.2021:

Kein Reformismus

Ich möchte der Aussage widersprechen, von wegen Sahra wäre Reformerlager, wie es im jüngsten Artikel rausklang, so als »Reformlinker« finde ich Sahra Wagenknecht in ihrer kommunitaristischen Haltung (soziale Gerechtigkeit erst mal nur im eigenen Land, Ausländer raus – nett formuliert: »lieber Fluchtursachen bekämpfen« – usw., alles für die Wahlurne, sch... auf Ideale) auch daneben. Ja, die SPD – wie alle Parteien geht gern den kommunitaristischen Weg. Aber gerade bei der Linken sind die sogenannten Reformer um Emali oder FdS die Kosmopoliten, die Weltoffenen, eben nicht, wie die SPD es mehrheitlich ist mit Seeheimern und Co. Nur weil man als Reformer lieber versuchen will, auch den parlamentarischen Weg in Koalitionen zu beschreiten, um die Mitmenschen vor »schwarz-gelber« Ausbeuterpolitik zu schützen, erlaubt es keine Gleichsetzung mit der SPD! Allein schon das Sozialdemokratische abwertend zu nutzen ist dämlich mit Blick auf die Geschichte der SED und auch mit Blick auf Luxemburg, Liebknecht und andere. Anmerkung: Sahras Fanboys finden auch die Sozialdemokratie in Dänemark gut, nicht wegen der Sozialdemokratie, sondern weil diese für die Wahlurne bewusst gegen Migranten gebattlet haben, von wegen »dem Volks aufs Maul schauen (statt aufklären)« (https://www.tagesspiegel.de/politik/das-erfolgsrezept-der-daenischen-sozialdemokraten-hart-gegen-reiche-und-migranten/25295638.html). In NRW sind es mehrheitlich eher zwei Interpretationen einer linksfundamentalistischen Ausrichtung. Einziger Lichtblick war Hannah Harhues als Gegenkandidatin, die für die Jugend und alle von uns eine Lanze gebrochen hat, denen es wirklich um Inhalte geht; die einzige dort mit Durchblick, so scheint es. Soll ich noch Wikipedia zitieren? Erstunterzeichner des im März 2006 lancierten Aufrufs zur Gründung der Antikapitalistischen Linken war u. a. Sahra Wagenknecht. Oder lieber als PDF, wer steht da namentlich noch hinten drauf? Sahra Wagenknecht, Thies Gleiss … (https://www.sahra-wagenknecht.de/kontext/controllers/document.php/35.c/6/2ca.pdf). Also bitte jetzt nicht so tun, als hätten die Reformer da irgendwas zu melden oder es wäre was mit Reformismus. Vor allem die Lenin-Fans wollen gern kommunitaristische Lenin-Methoden anwenden, um es mal provokant zuzuspitzen. Da hat man mehr Angst vor Koalitionen, weil es ja für die Wahlurne gefährlich werden könnte, wenn man dann als Die Linke nicht gut genug performt, wäre ja schade um die Mandate … Wenn ich bei Reformern was kritisieren wollte, dann dass diese in Teilen in der Bundestagsfraktion mit dem Lager Wagenknecht paktiert haben, nur um das Lager um Emali/Katja Kipping auf Distanz zu halten, welches inhaltlich den Reformern doch eigentlich viel näher steht, das wäre wirkliche Kritik, diese dämliche machtorientierte Hufeisentaktik.
Dass in der jungen Welt das Reformerlager gern gedisst wird, ist mir auch klar, deren politische Agenda ist deutlich, da kann ich auch die Springer-Presse zur Linken befragen (Zitat war hier: https://www.jungewelt.de/artikel/400305.linke-landesliste-in-nrw-zerstrittene-partei.html). Für Thies Gleiss, einen der Sprecher der Parteiströmung Antikapitalistische Linke und im NRW-Landesverband aktiv, ist Wagenknechts Erfolg erklärbar. Im Landesverband gebe es einen »linken radikalen Flügel«, für den etwa die AKL stehe. Dem stehe ein »nationalsozialdemokratischer Flügel gegenüber, der auf Reformismus und Staatsübernahme gerichtete Politik machen möchte«. Diese Politik ziehe »eine mechanistische Trennung zwischen angeblichen ökonomischen Interessen der Menschen, die sehr selektiv als ›Arbeiterklasse‹ bezeichnet werden, und politischen Überbauthemen der persönlichen Emanzipation, die grundsätzlich untergeordnet sind«. Organisatorisch werde dieser Flügel von den Anhängern der einst von Wagenknecht ins Leben gerufenen »Aufstehen«-Initiative bestimmt. »Aufstehen« sei »bundesweit eine kleine Restetruppe«. Aber in der NRW-Linken gebe es einen festeren Stamm von Unterstützern, »die vor allem eine unkritische Huldigung von Sahra Wagenknecht zusammenhält«, so Gleiss am Sonntag gegenüber dieser Zeitung.
Ehrlich gesagt, verorte ich Sahra eher bei AKL, SL und Co. Leninistische Staatssozialistin, die meint, mit kommunitaristischen (nationalen) Ansätzen frei nach Gramscis »kultureller Hegemonie« einen auf links machen zu können. Hauptsache, Protestwähler nicht mit Gendersternchen, Klimawandel und Migration verprellen ... Sehr links übrigens, hust … Als »Reformlinker« bekämpfe ich jede Form von Autoritarismus bis hin zu Staatssozialismus und Geschichtsklitterung rund um den linksautoritären Lenin und Schlimmere. Ich wähne mich eher in der Tradition von Rosa Luxemburg, Marx und Engels ... Proletarier aller Länder, die Freiheit der Andersdenkenden, Humanismus. Sahra bezeichnet jemanden wie mich gern als »linksilliberal«, das nebenbei. Sahra will erst mal die Macht, dann (vielleicht) die Veränderung, und dafür ist sie erbarmungslose Opportunistin, wanzt sich an Protestwähler ran usw. So ein Kurs hat immer schon die historische Linke in die Grütze geritten.
Wenn in NRW jemand von AKL gegen Wagenknecht kandidiert hat, ist das immer noch das – so könnte man sagen – »links-linke« Lager, von Reformern fehlt da jede Spur (Chapeau nur für Hannah, die da mutig ihre Stimme erhoben hat)! Soll ich böse sein: Pest oder Cholera. Beide Seiten wollen nicht wirklich parlamentarisch arbeiten und handeln nicht selten sehr dogmatisch und populistisch.
Ich kann es auch an Personen festmachen, wenn man da wissen möchte, wer mit wem unter einer Decke steckt, ist nur ein Gefühl, aber ich glaube, es passt schon ganz gut:
Sahra Wagenknecht, Diether Dehm, Andrej Hunko, Heike Hänsel, Sevim Dagdelen, Fabio De Masi, Zaklin Nastic, Alexander Neu, Oskar Lafontaine, und ja, auch Amira Mohamed Ali usw. – alles keine Reformer, oder? Also, bevor jetzt angeblich Reformer die neuen Wagenknecht-Fanboys sein sollen, bitte genauer hinschauen. Bei »Aufstehen« waren es oft irgendwelche geschichtsklitternden Spinner, oder soll ich an Diether Dehm vs. Klaus Lederer und den Populisten und Verschwörungshonk Ken Jebsen in Berlin erinnern?! Reformer und »Querdenker« wird man nicht zusammen finden, wohl aber manche RT-Fans und Co., die Sahra super finden und gern etwas soziale Gerechtigkeit, aber bitte nur für sich selbst, hätten. Saarland, NRW und NDS sind wohl die chaotischsten Landesverbände, weil es zu wenige Reformer gibt, so mein Eindruck. Also bitte mal sachlich bleiben, denn die Argumentation ist einfach nur dämlich, ja sogar polemisch gegen all die weltoffenen Linken.
Als sogenannter Reformer werde ich mich nicht – weder direkt noch indirekt – verunglimpfen lassen, weder von Sahra Wagenknecht noch von AKL und Co., nur weil man so seine eigenen Fehler übertünchen möchte. Sahra steht nicht für Reformismus, sie steht für linken Autoritarismus, den sie populistisch verkauft, indem sie quasi von Wirtschaftswunderjahren und »Früher war alles besser ohne all das Fremde« schwadroniert, bloß keine Verbotsmentalität und was sonst so Wähler abschrecken könnte. Wenn da das Fundilager in NRW nicht weiß, ob es kommunitaristisch oder kosmopolitisch sein will, muss das Fundilager es mit sich selbst ausmachen. Aber haltet die Reformer da raus, mit Reformismus hat das nicht zu tun! Wir müssen hier den Laden zusammenhalten, weil irgendwer immer freidreht, so kann man politisch echt nicht arbeiten. Sahra kann man kritisieren, aber aus der Kritik gleich wieder irgendwas herbeizukonstruieren für den Lagerkampf, ist unterste Kanone! Manchmal denke ich, PDS und WASG hätten lieber getrennt bleiben sollen, hier im Westen muss man sich echt oft fremdschämen für seine Mitglieder. Wäre mal schön, wenn jemand Brücken baut, statt immer öffentlich rumzuätzen, »my way or no way ...« Wütende Grüße von einem antikapitalistischen, weltoffenen Reformer!
Christian Suhr
Veröffentlicht in der jungen Welt am 15.04.2021.
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