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  • · Ansichten

    Dank an die Clowns

    Frank Ehrhardt, Potsdam
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    Am Samstag, dem 2. Juni 2007, bin ich Augen- und Ohrenzeuge einer riesigen friedlichen Demonstration geworden und habe die Provokationen und im Anschluß diese extremen Lügen in den Medien erlebt.
    Ein Zug bestehend aus vielen tausend bunten Menschen, Fahnen aller Farben – aber rote Fahnen dominierten -, riesige Figuren und Transparente, die mit viel Geschick, Humor und Fantasie gefertigt wurden. Ich reihte mich mit meiner roten Fahne ein und lief mit. Unterwegs zum Stadthafen blieb ich immer wieder stehen, um andere Gesichter, andere Gruppierungen, andere Losungen zu sehen. So zog der ganze Zug an mir vorüber. Auch der sogenannte schwarze Bock. Ich sah tausende Gesichter – in keinem – ich wiederhole: in keinem einzigen war Wut, Bitternis, Haß oder Gewaltbereitschaft zu sehen. Im Gegenteil: Ausgelassene, fröhliche, menschliche, lächelnde Gesichter prägten den Zug. Ich schaute auch in die Gesichter, die unter großen Helmen und hinter Schilden hervorlugten – da waren ernste, angespannte, menschliche Gesichter zu erkennen. Und dann gab es da eine Gruppe offenbar professioneller Clowns, die ausschwärmten und sich überall dort zeigten, wo sich  Demonstranten und »Ordnungshüter« nahe kamen. Sie brachten Humor in solche Momente. Sie rangen beiden Seiten ein Lächeln ab und verhinderten dadurch - schon im Vorfeld – Provokationen der einen als auch der anderen Seite. Wo die Clowns auftauchten entspannten sich die Gemüter. Ein genialer Einfall. Ein Deeskalationsteam ohne Uniform. Wir können den Clowns nicht genug danken.

    Wasserspeiende Ungeheuer


    Der Zug wurde ständig durch ein bis zwei dröhnende Hubschrauber begleitet. Am Ort der Abschlußkundgebung sah ich mit Brettern vernagelte Geschäfte. Wie sehr die Medien doch die einheimische Bevölkerung auf die drohenden Krawalle eingetrimmt hatten. Der Beginn der Kundgebung mußte mehrfach verschoben werden, da die Hubschrauber in Standschwebe über dem »Festplatz« standen und die Mikrofone und Lautsprecher übertönten. Zwischen den Redebeiträge immer wieder der Appell an die Polizei, die Provokationen einzustellen. Plötzlich Rauch, Unruhe, unruhige Blicke … und vier mehr als mähdreschergroße grüne wasserspeiende Ungeheuer fahren mitten auf den Festplatz. Mir kommen Menschen mit roten Gesichtern und tränenden Augen entgegengerannt, die Wasser suchen, um ihren Augen auszuspülen. Und wieder die Aufforderung von der Bühne: »Zieht Euch zurück - raus aus unserer Veranstaltung, hört auf mit den Wasserwerfern und überhaupt mit Euren Provokationen auf!«
    Mehrmals stürmten vor meinen Augen schwer gerüstete Polizeieinheiten mit geschlossenen Visieren in die Menschenmassen. Wie lange geht das noch gut ohne organisierte Gegenwehr?
    Irgendwann ziehen sich sowohl die bulligen Wasserwerfer, als auch die marschierenden Kolonnen zurück. Unter dem lauten Beifall tausender aufatmender nicht gewaltbereiter G8-Gegner. Eine Stunde später wird von der Bühne verkündet, daß in der Innenstadt Jagd auf nasse Menschen gemacht wird. Ein Scherz? Nein. Auf dem Weg zum Hauptbahnhof komme ich an einem (!) verbrannten PKW vorbei. Dann werde ich Zeuge wie junge Leute am Straßenrand völlig willkürlich angehalten werden und die Trockenheit ihrer Kleidung durch Abtasten überprüft wird. Wer mit nasser Kleidung an diesem Abend in Rostock aufgegriffen wurde, wurde als potentieller Gewalttäter eingestuft und dementsprechend erkennungsdienstlich behandelt.

    Die Bilder von Genua


    Hunderte Polizisten sollen verletzt worden sein. Auf dem Weg zum Camp fragten wir uns, wie und wo die Beamten mit Helm, Visier, und dem ganzen Körper voller Hartplastik zu verletzen seien. Oder zählt es auch als Verletzung, wenn die Polizisten ihr eigenes Tränengas einatmen?
    Vor dem Camp erwarten uns drei große Wasserwerfer und mehrere hundert kampfbereite Polizisten. Es ist inzwischen 21.30 Uhr. Mir stockt der Atem, Bilder aus der Turnhalle in Genua 2001 werden wach, wo unschuldig schlafende brutalst zusammengeknüppelt wurden. Überhaupt haben mich heute einige Bilder eher an Chile im September 1973 erinnert, als an ein demokratisches Rechtssystem. Damals hielt ich es für ausgeschlossen, daß ich jemals ähnliches mit eigenen Augen sehen werde. Doch heute hab ich Angst – und nicht nur ich – denn hier herrscht Barbarei.
    Wenn Gewalt gebraucht wird, um der Welt etwas zeigen zu können, dann wird Gewalt  befohlen. Und wenn den Kampfmaschinen da draußen jemand in der Nacht den Befehl gibt, das Lager zu stürmen, dann motivieren die angeblich verletzten Polizeikollegen ungemein. Um 23.30 Uhr treffen sich die Delegierten der einzelnen Zeltgemeinschaften, um darüber zu beraten ob und wie Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. In dieser Nacht bleibt es zwar ruhig, aber mich lassen die Eindrücke des Tages lange nicht zur Ruhe kommen.

    Hier herrscht Barbarei


    Die Medien haben ihre Bilder bekommen. Immer und immer wieder wurde das einzige brennende Auto gezeigt. Von wem jedoch die Gewalt ausging und wer provoziert hat – bis dann endlich doch die Steine flogen – das wissen nur wir. Wir die 80 000 bewegten Bürger, die ihren Unmut über die täglich verübten Gewalttaten der G-8–Staaten friedlich äußern wollten. Die Gewalttaten wie Krieg, Folter und Mord, wie gezielte Umweltzerstörung, Hungertod von Millionen Menschen. Es ging aber vielen um mehr. Eindeutig wurde der Kapitalismus als Grundübel herausgestellt. Das macht den Herrschenden offenbar Angst, solche Angst, daß sie wild um sich schlagen und treten lassen. Auch die Massenmedien tun ihren Dienst: Tagelang werden ihre Lügen um die Welt gehen: Rostock wurde von linken Krawallmachern aus In- und Ausland in Schutt und Asche gelegt – über 430 verletzte Beamte …
  • · Nachrichten

    G8 nimmt Reißaus

    Während Blockadeaktivisten rund um Heiligendamm von der Polizei ausgehungert werden, haben sich die Staats- und Regierungschefs der G-8-Staaten am Abend außerhalb des zwölf Kilometer langen Sicherheitszaunes gewagt.

    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Ehegatte Joachim Sauer hatten die Gipfelgäste und ihre Partner auf das Gut Hohen Luckow 25 Kilometer von Heiligendamm entfernt geladen. Musik von Bach, Beethoven und Mendelssohn-Bartholdy sowie ein Dinner im ehemals volkseigenen Rittersaal wurden den Gästen geboten. Laut ddp war es rund um den 300-Seelen-Ort ruhig, »von Demonstranten keine Spur«.

    (jW)

  • · Nachrichten

    Angeblich drei Blockaden aufgelöst

    Bad Doberan - Die Polizei hat nach eigenen Angaben drei Blockaden rund um Heiligendamm aufgelöst.
    Die Beamten hätten nach 18.00 Uhr geräumt, weil die Straßen befahren werden müßten, um die Einsatzkräfte zu bewegen, sagte Polizeisprecher Reinhard Höing bei Bad Doberan auf Anfrage der Nachrichtenagentur ddp. Nur dann könnten sie ihrem Schutzauftrag für den G8-Gipfel nachkommen. Die Polizei verfolge jedoch trotzdem eine Deeskalationsstrategie und habe deswegen die Blockaden so lange geduldet.
    Nach Angaben Höings ist es aufgrund der Länge des Sicherheitszaunes gar nicht möglich, das Gelände komplett abzusperren und vor Demonstranten zu schützen. Am Mittwoch beteiligten sich nach Polizeiangaben zwischen 6000 und 8000 Menschen an den Protesten.

    (ddp/jW)

  • · Nachrichten

    Mit Zwischenraum, hindurchzuschaun

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    Bad Doberan. Die Lage am G-8-Sicherheitszaun hat sich am Abend wieder zugespitzt.
    Hunderte Demonstranten stürmten auf den Sicherheitszaun zu und rissen auf rund 200 Metern Maschendraht ab.
    Es ertönten Rufe: «Der Zaun muss weg». Insgesamt befanden sich bis zu 7.000 Teilnehmer bei einer Sitzblockade nahe des östlichen Kontrollpunkts im Sicherheitszaun. Die Polizei behauptet, mehrere Demonstranten hätten sich mit Molotow-Cocktails bewaffnet und Steine in die Hand genommen.
    (AP/jW)

  • · Pressespiegel

    Presseschau: Hut ab vor den Gipfelstürmern

    Die Rostocker »Ostsee-Zeitung« zollt den Gipfelgegnern in ihrer Donnerstagausgabe Respekt: »Profunde Ortskenntnisse führen eine über Monate trainierte Polizeitaktik ad absurdum.
    Statt überlegt zu agieren, sind die Sicherheitskräfte gezwungen, überhastet zu reagieren. Die Polizeistrategen haben auf Abschreckung, Verbote und Bannmeilen gesetzt und dabei Kreativität und Flexibilität der Gipfelgegner unterschätzt. Daß es den G-8-Kritikern zunehmend gelingt, mit der Polizei Katz und Maus zu spielen, ist erstaunlich. Und kann auch Angst machen.«

    Bush soll sich zu Demonstranten trauen

    Die »Freie Presse Chemnitz« merkt zu den Protesten an: »Von den gestrigen Demonstrationen der Gipfelgegner, von denen sich die Polizeikräfte erstaunlicherweise wieder einmal überrascht zeigten, hat US-Präsident George W. Bush beispielsweise sicherlich kaum etwas mitbekommen. Vielleicht haben ihn ja spät am Abend einige Bilder aus dem Fernsehen erreicht. Warum eigentlich kommt niemand auf die Idee, sich dem Protest einmal zu nähern und sich ihm direkt zu stellen, statt sich abzuschotten? Mappen, Akten und andere wichtige Utensilien tragende Ministerialbeamte, die ihre Chefs sonst ja auch mit Berichten aller Art versorgen, gibt es doch in jeder Delegation zur Genüge. Vom Volk in höchste Regierungsämter gewählt zu werden, ist eine Seite der Demokratie. Mit deren (gewaltfreien) Protesten umzugehen, eine andere.»

    Gefährliches Katz-und-Maus-Spiel

    Bayreuths »Nordbayerischer Kurier« lehrt: »Die Demonstranten, die in Heiligendamm der   Staatsgewalt trotzen wollen, lassen sich auf ein gefährliches Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei ein. Mit Blockaden und einem Vordringen in Verbotszonen feiern sie ihre kleinen Triumphe, aber was außer Polizeihundertschaften bewegen sie damit? Selbst die ehrenwertesten Motive unterstellt: Sie wandeln auf einem schmalen Grat zwischen Recht und Unrecht. Ein Funke kann in aufgeheizter Lage zur Eskalation genügen. Demonstranten ebenso wie Polizeibeamten wird hohe Disziplin und Besonnenheit abverlangt. Steinwürfe, Schlagstock, und Wasserwerfer gehören in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht zur Diskussionskultur.«

    ATTAC kindisch, Linkspartei frivol

    Die »Rheinische Post« dagegen ereifert sich: »Was sich manche Gegner des G8-Treffens leisten, ist dreist. Sprecher des globalisierungskritischen Netzwerkes ATTAC, das sich zur Hüterin einer höheren Moral, als eine Art Greenpeace zu Lande, aufspielt, feiern die ihnen gelungenen Straßenblockaden wie Kindsköpfe, denen ein Streich gelungen ist. Straßenblockaden mögen nicht generell den Straftatbestand der Nötigung erfüllen; Rechtsbrüche, Ordnungswidrigkeiten sind sie allemal. Politisch frivol äußerten sich gestern Repräsentanten der Linkspartei, indem sie der Polizei vorhielten, bei den Zahlenangaben zu ihren im Einsatz gegen Steinewerfer verletzten Beamten getäuscht zu haben. Daß die Knochenbrüche an Fingern und Handgelenken in der Regel ambulant und nicht stationär versorgt wurden, heißt doch nicht, daß die Polizei »maßlos übertrieben« hat.«

    (jW)

  • · Nachrichten

    Blockade mit Wasserwerfern aufgelöst

    Bild 1

    Heiligendamm. Eine der drei Blockaden von G8-Gegnern um Heiligendamm ist von der Polizei gewaltsam aufgelöst worden.
    Westlich des Ostseebades in der Ortschaft Hinter Bollhagen wurden am Mittwochabend rund 2500 Demonstranten mit Wasserwerfern von der Straße abgedrängt. Zeugen berichteten auch von TDie Passierstelle am Zaun ist wieder zugänglich. Die Straße wird von einem Großaufgebot der Polizei gesichert. Die meisten Demonstranten haben sich in ein nahegelegenes Camp zurückgezogen. Augenzeugen berichteten jW von einem regen Verkehrsaufkommen auf der freigeräumten Straße.
    (ddp/jW)

  • · Nachrichten

    Anti-G8-Camp in Rostock kurzzeitig von Polizei umstellt

    Nach Informationen von Campteilnehmern sowie der Campinski-Pressegruppe war das Zeltlager der G8-Gipfelgegner in Rostock von rund 100 Polizeifahrzeugen umstellt.
    Uniformierte seien bereits in das wegen der laufenden Blockadeaktionen spärlich besetzte Camp eingedrungen, hätten sich inzwischen jedoch wieder zurückgezogen. Was die Polizei genau von den Campteilnehmern wollte, blieb vorläufig unklar.

    (jW)

  • · Nachrichten

    Blockierer sollen hungern

    Die Polizei will die Versorgung der Aktivisten an den Blockadepunkten unterbinden. Wasser und Essen werde nicht mehr durchgelassen, so die Polizei.

    Auch die beim Katastrophenschutz von einem anwesenden Arzt angeforderte Versorgung mit Decken wegen der Gefahr von Unterkühlung werde nicht zugelassen. An der Blockade in Rethwisch, wo das Anti-Konfliktteam der Berliner Polizei eingesetzt ist, sagte ein Beamter, der sich Journalisten vor Ort mit dem Namen Wunderlich vorstellte: »Straftätern kann man nicht auch noch Wasser und Essen zukommen lassen. Das paßt nicht in mein Demokratieverständnis.«

    (jW)

  • · Nachrichten

    Polizei macht Stimmung

    Die Polizeisondereinheit »Kavala« verbreitet die Eilmeldung, daß an der Kontrollstelle »Galopprennbahn« am Zaun bei Heiligendamm Teilnehmer der Blockade »die Kleidung wechseln, sich vermummen und Schutzkleidung anlegen, sich mit Molotow-Cocktails bewaffnen und Steine aufnehmen«.
    Blockade-Aktivisten äußerten sich gegenüber jW besorgt. Die Polizei verbreite nun offensichltlich Falschmeldungen, um eine spätere gewaltsame Räumung der bislang friedlichen Menschensperre öffentlichkeitswirksam vorzubereiten. »Hier vermummt und bewaffnet sich niemand. Wir blockieren friedlich«, versicherte eine Teilnehmer bei »Block G 8« gegenüber jW.

    (jW)

  • · Nachrichten

    Kurzer Prozeß in Rostock

    In sieben Schnellverfahren gegen Globalisierungsgegner im Alter zwischen 20 und 31 Jahren verurteilte das Amtsgericht Rostock heute unter anderem zwei Spanier, einen Polen und drei junge Deutsche zu Haftstrafen zwischen sechs Monaten mit Bewährung und zehn Monaten ohne Bewährung.

    Den Angeklagten war schwerer Landfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung oder versuchter gefährlicher Körperverletzung vorgeworfen worden. Ihre Anwälte kündigten Berufungen gegen die Verurteilungen an.Wie der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) berichtet, hatten sich die Angeklagten auf die Schnellverfahren nur eingelassen, weil sie in der JVA Waldeck und in der Frauen-JVA Bützow unter entwürdigenden Haftbedingungen festgehalten wurden und ihnen im Anschluß an die Schnellverfahren eine Haftentlassung zugesichert worden war.

    Inhaftierte mißhandelt

    Zudem waren mehrere der Angeklagten bei ihrer Festnahme am 2. Juni in Rostock durch Polizeibeamte so schwer mißhandelt worden, daß sie mit sichtbaren Hämatomen im Gesicht und am ganzen Körper im Gericht vorgeführt wurden. Eine schmächtige 21jährige aus Deutschland war bei ihrer Verhaftung so massiv und mehrfach ins Gesicht geschlagen worden, daß sich angesichts ihrer Hämatome im Gesicht auch der Richter zu Nachfragen veranlaßt sah.
    In der JVA Waldeck wurden den Angeklagten teilweise richterlich genehmigte Telefonate nicht erlaubt und Hofgänge verweigert mit der Begründung, es könne nicht für ihre Sicherheit garantiert werden, da in der JVA viele Neonazis inhaftiert seien. Darüber hinaus wurden einige Angeklagte von den Wachmännern beschimpft und bedroht.

    Da die Umstände ein rechtsstaatliches Verfahren und eine ordnungsgemäße Verteidigung nicht ermöglichten, beschränkten sich Verteidiger darauf, die Vorgehensweise von Staatsanwaltschaft und Gericht zu kritisieren und Erklärungen abzugeben.

    Im Verfahren gegen einen 20jährigen Philosophiestudenten aus Deutschland beispielsweise stützte sich die Verurteilung auf eine lückenhafte schriftliche Aussage eines Polizeibeamten. Darin wurde behauptet, der Angeklagte habe am 2. Juni vier oder fünf Flaschen oder Steine in eine unbekannte Richtung geworfen. Weder wurde klar, ob es sich um Glas- oder Plastikflaschen, noch wie viele es gewesen sein sollen, weder ob es sich um Kieselsteine noch ob es sich um Pflastersteine gehandelt haben soll. Präzisere Angaben wurden nicht gemacht, dennoch wurde der nicht vorbestrafte 20jährige, der die Tat bestritten hat, zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.
    Auch in anderen Verfahren mangelte es an präzisen Tatvorwürfen und Zuschreibungen; immer wieder blieb in den polizeilichen Aussagen unklar, wo, wann und aus welcher Entfernung und in welche Richtung geworfen worden sein soll. Ein Großteil der Angeklagten bestritt die Tatvorwürfe.

    Verteidiger beschimpft

    Die Atmosphäre der Verfahren war geprägt von beleidigenden Äußerungen des Staatsanwalts gegen Angeklagte und Verteidiger. So bezeichnete der Staatsanwalt die Angeklagten als »Chaoten« und Mitglieder des »schwarzen Blocks«, obwohl keinem der Angeklagten vorgeworfen worden war, vermummt gewesen oder aus dem Schwarzen Block heraus agiert zu haben. Einen Angeklagten beleidigte der Staatsanwalt als »Durchgeknallten«. Zwei Rechtsanwälten unterstellte er, er bezweifle, daß sie Jura studiert hätten.

    Der zuständige Einzelrichter hatte zudem von vornherein klar gemacht, daß er keine Einzelfälle betrachten wolle und daß es nicht vorstellbar sei, daß Polizisten lügen würden. »Zur Verteidigung der Rechtsordnung« könne er auch keine Bewährungsstrafen verhängen.
    »Bei den Schnellverfahren pünktlich zum Ankunft der Delegationen handelt es sich in erster Linie um ein Instrument der Abschreckung«, sagte Rechtsanwältin Christina Klemm, »die mit einem fairen Verfahren nichts zu tun haben. Hier agieren Justiz und Polizei Seite an Seite.«
    (jW)

  • · Nachrichten

    Greenpeace-Schiff durchsucht: Polizei beschlagnahmt Ballon

    Rostock - Die Wasserschutzpolizei Rostock und die Bundespolizei haben heute das Greenpeace-Schiff  »Arctic Sunrise« auf der Ostsee außerhalb des Sperrgebietes von Heiligendamm durchsucht.

    Die Beamten beschlagnahmten einen Heißluftballon und machten die Schlauchboote an Bord fahruntüchtig – bis auf eines. Die 24-köpfige Besatzung mußte während der Durchsuchung in der Messe bleiben. Die Beamten waren mit fünf Schiffen, davon zwei Polizeischiffen, einem schwedischen Schnellboot unter deutscher Flagge und zwei Schlauchbooten längsseits gegangen.

    Die »Arctic Sunrise" gehört wie die »Beluga II" zu den Schiffen, die den friedlichen Protest gegen die Politik der G8-Staaten begleiten. »Uns ergeht es nun genauso wie Tausenden anderen Demonstranten", sagt Jörg Feddern, Klimaschutzexperte von Greenpeace. »Aber wir lehnen diese Kriminalisierung gewaltfreier Demonstrationen ab. Gewählte Regierungen müssen der Kritik ihrer Bürger ins Gesicht sehen.« Die Besatzung wird nun durch eine polizeiliche Verfügung angewiesen, bis zum Ende des G8-Gipfels weder Schlauchboote auszusetzen noch den Ballon zu starten.

    Greenpeace kritisiert an der Politik der G8-Staaten vor allem, daß sie sich bisher nicht auf eine verbindliche Reduzierung der Treibhausgase geeinigt haben.

  • · Nachrichten

    Anwälte müssen draußen bleiben

    Rostock - Nachdem heute rund 200 Gegner des G8-Gipfeltreffens in Heiligendamm in Gewahrsam genommen wurden, verwehrt die Polizei sämtlichen Rechtsanwälten den Zutritt zur Gefangenen-Sammelstelle (GeSa)  in der Rostocker Industriestraße.
    Dies berichtete Martin Dolzer vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein gegenüber junge Welt. Rechtsanwälten, die auf einem Parkplatz in der Nähe des Flughafens Rostock-Laage Kontakt zu rund 60 festgenommenen Blockadeteilnehmern aufnehmen wollten, habe die Polizei kurzerhand einen Platzverweis erteilt.

    (jW)

  • · Nachrichten

    Clowns nach Checkpoint-Blockade abgeführt

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    Rund 40 Mitglieder der berüchtigten »Clowns Army« sind nach jW-Informationen kurz nach 17 Uhr von der Polizei abgeführt worden. Zuvor hatten sie über Stunden den Kontrollpunkt nahe Hinter-Bollhagen am Sicherheitszaun um den G8-Tagungsort Heiligendamm blockiert.
    Zunächst hatten Polizeikräfte die Clowns eingekesselt und auf ein nahe gelegenes Feld abgedrängt, um den Checkpoint wieder eröffnen zu können. (jW)

  • · Nachrichten

    Klimaschutz ad acta

    Heiligendamm. Die USA-Delegation hat heute durchblicken lassen, daß sich die Vereinigten Staaten auch während des G8-Gipfels nicht auf konkrete langfristige Klimaziele einlassen werden.
    In der Abschlusserklärung würden solche Ziele nicht auftauchen, sagte heute ein Vertreter der USA in Heiligendamm, laut der französischen Nachrichtenagentur AFP. Die Äußerung erfolgte nur kurz nach einem Vier-Augen-Gespräch zwischen US-Präsident George Bush und Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Klimaschutz.

    (AFP/jW)

  • · Nachrichten

    Polizei spielt auf Zeit

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    Rostock - Nachdem die Polizei gegenüber der Nachrichtenagentur AP bereits die Räumung der Straßenblockaden rund um den G8-Tagungsort Heiligendamm angekündigt hat, steht ein Ulitmatum an die Blockierer noch aus.

    Am Blockadeabschnitt nahe Bad Doberan stehen nach jW-Informationen Wasserwerfer bereit und ein Hubschrauber kreist über rund 6000 Blockierern. »Wir werden die Versammlungen auflösen«, sagte Polizeisprecher Lüder Behrens gegenüber der Nachrichtenagentur AP. Die Polizei werde aber deeskalierend vorgehen und auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren.

    Insgesamt befinden sich nach Polizeiangaben rund 9000 Demonstranten im Bereich des Sicherheitszauns, die Veranstalter sprechen von mindestens 10.000. Gegenüber junge Welt sagte ein Polizeisprecher, es gebe bereits »Abwanderungsbewegungen«, ohne daß polizeiliche Zwangsmaßnahmen angewendet worden seien.

    Die G8-Gegner hatten mehrere Zufahrtsstraßen nach Heiligendamm blockiert. Bei Auseinandersetzungen mit Demonstranten an zwei Kontrollpunkten wurden nach Polizeiangaben mindestens acht Polizisten verletzt. Allerdings mußten sie nicht mit Hubschraubern ausgeflogen werden, wie Polizeisprecher Axel Falkenberg zunächst behauptet hatte, sondern konnten vor Ort versorgt werden. Einer der beiden Kontrollpunkte am Sicherheitszaun in Heiligendamm wurde unterdessen wieder geöffnet. Damit war der G8-Tagungsort nach mehreren Stunden wieder auf dem Landweg erreichbar.

    (AP/jW)

  • · Nachrichten

    DIE LINKE: Polizeigewalt verurteilt

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    Bundestagsabgeordnete der Fraktion DIE LINKE haben den Polizeiübergriff mit Wasserwerfern und Schlagstöcken auf rund 2000 G8-Gegner bei Admannshagen scharf verurteilt.

    »Der Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken durch ein bayerisches Unterstützungssonderkommando beim Zugriff auf 2.000 G8-Gegnerinnen und Gegner  ist nicht akzeptabel. Wir fordern die Polizei auf, alles zu unterlassen, was die Gewaltspirale weiter vorantreibt und das ohnehin schon stark eingeschränkte Versammlungsrecht noch weiter praktisch beschneidet«, erklärten die Bundestagsabgeordneten Heike Hänsel, Eva Bulling-Schröter und Lutz Heilmann. »Von den Demonstrantinnen und Demonstranten bei Admannshagen ging keine Gewalt aus. Die Polizei verlor beim Einsatz jedes Maß. Wir wissen von etlichen, teilweise erheblichen Verletzungen. Es wird berichtet, daß Sanitäter von der Polizei nur verzögert vorgelassen wurden. Wir protestieren gegen dieses völlig unverhältnismäßige Vorgehen.«

    (jW)

  • · Ansichten

    Hoffnungsvoller Auftakt

    Ann Friday

    Rege Beteiligung bei G-8-Alternativgipfel in Rostock. Jean Ziegler hielt Eröffnungsrede

    Mehr Leute hätten in die Rostocker Nikolaikirche nicht hinein gepaßt. Etwa 1400 Menschen drängten sich am Dienstag abend in die Auftaktveranstaltung des G-8-Alternativgipfels; die Veranstalter hatten mit 700 Teilnehmern  gerechnet. Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, eröffnete die  Podiumsdiskussion mit einer flammenden Rede. »Ein Kind, das heute verhungert, wird ermordet«, erklärte er, und wies auf das System der strukturellen Gewalt hin. Der EU-Ministerrat könnte das mörderische Agrardumping morgen früh stoppen. Der Neoliberalismus müsse weg, die Welthandelsorganisation, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank sollten ersatzlos abgeschafft werden. »Wir wissen, was wir nicht wollen«, sagte Ziegler und fügte hinzu: »Es gibt keinen Weg, den Weg machen deine Füße selbst«.
    Was für ein Widerspruch, daß dieser Mann mit seinen Ansichten noch bei der UN angestellt ist, meinte Madjiguene Cisse aus Senegal: »Wie kommt es, daß er dort noch arbeitet? Nächstes Mal laden wir ihn zu den Blockaden ein!«
    Annelie Buntenbach vom DGB-Bundesvorstand sah noch einen weiten Weg vor sich. Ein Generalstreik, wie von einem Teilnehmer vorgeschlagen, sei erst bei in einem anderen gesellschaftlichen Klima denkbar. Sie berichtete von der internationalen Gewerkschaftskampagne für würdige Arbeit und würdiges Leben, mit der vor allem prekär Beschäftigte und Menschen ohne Job angesprochen werden sollen.
    Thuli Makama vom Umweltnetzwerk Friends of the Earth aus Swaziland steltte klar, daß Afrikaner keine Bettler seien: »Wir bitten nicht um Almosen, denn die Welt hat genug Ressourcen für uns alle.« Sie wandte sich unter anderem gegen Biokraftstoffe: Der Energieverbrauch des Nordens dürfe keinen Vorrang gegenüber der Nahrungsversorgung des Südens haben.
    Madjiguene Cisse, die früher bei den Sans Papiers in Frankreich aktiv war und nun im Senegal aktiv ist, forderte unter viel Applaus das Grundrecht der Bewegungsfreiheit für alle Menschen ein und sprach die Fluchtursachen an. Exemplarisch wies sie auf die Fischereiabkommen zwischen der EU und mehreren Ländern des Südens hin, die dazu führten, daß die Fischer dort keine Arbeit mehr hätten.
    Nach der Podiumsdiskussion wurden mehrere Arbeitsgruppen, die Diskussionen dauerten weit in die Nacht.  Vielfach wurde kritisiert, daß der Alternativgipfel parallel zu den Blockaden der Zufahrtswege nach Heiligendamm stattfinde. Ein Teilnehmer forderte die Gäste auf, sich an den Protesten zu beteiligen. 

  • · Nachrichten

    Bundeswehr um und über Heiligendamm

    Nach jW-Informationen ist am Einsatz um Heiligendamm auch die Bundeswehr beteiligt. Auf den Straßen sind Beobachtern zufolge Fahrzeuge mit dem berüchtigen »Y« im Nummernschild zu sehen.

    Neben Feldjäger-Einheiten sind auch gepanzerte Fahrzeuge zu sehen. Offensichtlich ist: Die Soldaten arbeiten eng mit der Polizei zusammen. In der Luft kreisen Bundeswehrhubschrauber. Ein am Einsatz bei Bad Doberan beteiligter Soldat identifizierte die Helikopter als Aufklärungsmaschinen der Luftwaffe und erklärte gegenüber jW: »Die Bundeswehr ist darauf vorbereitet, bei einer zugespitzten Lage in das Geschehen einzugreifen. Die Einheiten sind in 20 Sekunden vor Ort.« An dem Einsatz seien unter anderem Soldaten aus Lündeburg beteiligt. »Die sind darauf trainiert, hinter den feindlichen Linien zu operieren«, charakterisierte der anonym bleiben wollende Soldat die bewaffneten Einsatzkräfte gegenüber junge Welt. Das Grundgesetzt verbietet einen Einsatz der Bundeswehr im Inland.

    (jW)

  • · Nachrichten

    Berliner Arzt Kronawitter verhaftet

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    Nach Angaben der »Campinski Pressegruppe« wurde gegen 14 Uhr der Arzt und Aktivist Dr. Michael Kronawitter aus Berlin am Ortsausgang Bad Doberan von der Polizei verhaftet.
    Er war – deutlich mit Rettungsweste als Arzt gekennzeichnet – von Berliner Zivilpolizisten angehalten worden. Nach der Personalienüberprüfung sagten die Beamten sinngemäß, Dr. Kronawitter sei als Führer von Störern und Linksradikalen bekannt. Anschließend teilten sie ihm mit, er werde bis zum 8. Juni in Unterbindungsgewahrsam genommen. Kronawitter hatte in der jW vom 5. Juni den »militanten Widerstand« in Rostock verteidigt unter anderem erklärt: »Es hat nicht wenige mit klammheimlicher Freude berührt, Berliner Polizisten auch einmal rennen zu sehen.«
    (jW)

  • · Nachrichten

    Medien greifen jW-Nachfrage über Verletztenzahl auf

    Mehrere Medien haben inzwischen unsere Meldung über die tatsächliche Zahl der schwer verletzten Polizisten bei der Anti-G8-Demonstration am vergangenen Samstag in Rostock aufgegriffen.
     
    Polizeisprecher mußten auf Nachfrage erneut einräumen, daß von insgesamt nur zwei stationär behandelten Polizisten bereits einer wieder entlassen worden sei. Neben den Tageszeitungen Welt und FAZ überprüften und zitierten unter anderem Spiegel Online und der Nachrichtensender n-tv die Angaben von junge Welt.

    Die Polizei hatte sich bei ihren Angaben nicht an die Definition der offiziellen Unfallstatistik gehalten. Demnach gilt nur als schwer verletzt, wer stationär im Krankenhaus behandelt wird.

    Tagesschau: Stets Auslegungssache

    Ein Redakteur der Tagesschau ließ sich unterdessen vom Hinweis eines jW-Lesers nicht beeindrucken - und antwortete auf dessen E-Mail, es sei stets Auslegungssache, ab wann jemand schwer oder leicht verletzt sei. Die Zahlen der Polizei seien dabei genauso der Manipulation ausgesetzt wie die Zahlen der Protest-Organisatoren.

    (jW)