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06.06.2007, 21:43:10 / G8-Blog

Dank an die Clowns

Von Frank Ehrhardt, Potsdam
Bild 1
Am Samstag, dem 2. Juni 2007, bin ich Augen- und Ohrenzeuge einer riesigen friedlichen Demonstration geworden und habe die Provokationen und im Anschluß diese extremen Lügen in den Medien erlebt.
Ein Zug bestehend aus vielen tausend bunten Menschen, Fahnen aller Farben – aber rote Fahnen dominierten -, riesige Figuren und Transparente, die mit viel Geschick, Humor und Fantasie gefertigt wurden. Ich reihte mich mit meiner roten Fahne ein und lief mit. Unterwegs zum Stadthafen blieb ich immer wieder stehen, um andere Gesichter, andere Gruppierungen, andere Losungen zu sehen. So zog der ganze Zug an mir vorüber. Auch der sogenannte schwarze Bock. Ich sah tausende Gesichter – in keinem – ich wiederhole: in keinem einzigen war Wut, Bitternis, Haß oder Gewaltbereitschaft zu sehen. Im Gegenteil: Ausgelassene, fröhliche, menschliche, lächelnde Gesichter prägten den Zug. Ich schaute auch in die Gesichter, die unter großen Helmen und hinter Schilden hervorlugten – da waren ernste, angespannte, menschliche Gesichter zu erkennen. Und dann gab es da eine Gruppe offenbar professioneller Clowns, die ausschwärmten und sich überall dort zeigten, wo sich  Demonstranten und »Ordnungshüter« nahe kamen. Sie brachten Humor in solche Momente. Sie rangen beiden Seiten ein Lächeln ab und verhinderten dadurch - schon im Vorfeld – Provokationen der einen als auch der anderen Seite. Wo die Clowns auftauchten entspannten sich die Gemüter. Ein genialer Einfall. Ein Deeskalationsteam ohne Uniform. Wir können den Clowns nicht genug danken.

Wasserspeiende Ungeheuer


Der Zug wurde ständig durch ein bis zwei dröhnende Hubschrauber begleitet. Am Ort der Abschlußkundgebung sah ich mit Brettern vernagelte Geschäfte. Wie sehr die Medien doch die einheimische Bevölkerung auf die drohenden Krawalle eingetrimmt hatten. Der Beginn der Kundgebung mußte mehrfach verschoben werden, da die Hubschrauber in Standschwebe über dem »Festplatz« standen und die Mikrofone und Lautsprecher übertönten. Zwischen den Redebeiträge immer wieder der Appell an die Polizei, die Provokationen einzustellen. Plötzlich Rauch, Unruhe, unruhige Blicke … und vier mehr als mähdreschergroße grüne wasserspeiende Ungeheuer fahren mitten auf den Festplatz. Mir kommen Menschen mit roten Gesichtern und tränenden Augen entgegengerannt, die Wasser suchen, um ihren Augen auszuspülen. Und wieder die Aufforderung von der Bühne: »Zieht Euch zurück - raus aus unserer Veranstaltung, hört auf mit den Wasserwerfern und überhaupt mit Euren Provokationen auf!«
Mehrmals stürmten vor meinen Augen schwer gerüstete Polizeieinheiten mit geschlossenen Visieren in die Menschenmassen. Wie lange geht das noch gut ohne organisierte Gegenwehr?
Irgendwann ziehen sich sowohl die bulligen Wasserwerfer, als auch die marschierenden Kolonnen zurück. Unter dem lauten Beifall tausender aufatmender nicht gewaltbereiter G8-Gegner. Eine Stunde später wird von der Bühne verkündet, daß in der Innenstadt Jagd auf nasse Menschen gemacht wird. Ein Scherz? Nein. Auf dem Weg zum Hauptbahnhof komme ich an einem (!) verbrannten PKW vorbei. Dann werde ich Zeuge wie junge Leute am Straßenrand völlig willkürlich angehalten werden und die Trockenheit ihrer Kleidung durch Abtasten überprüft wird. Wer mit nasser Kleidung an diesem Abend in Rostock aufgegriffen wurde, wurde als potentieller Gewalttäter eingestuft und dementsprechend erkennungsdienstlich behandelt.


Die Bilder von Genua


Hunderte Polizisten sollen verletzt worden sein. Auf dem Weg zum Camp fragten wir uns, wie und wo die Beamten mit Helm, Visier, und dem ganzen Körper voller Hartplastik zu verletzen seien. Oder zählt es auch als Verletzung, wenn die Polizisten ihr eigenes Tränengas einatmen?
Vor dem Camp erwarten uns drei große Wasserwerfer und mehrere hundert kampfbereite Polizisten. Es ist inzwischen 21.30 Uhr. Mir stockt der Atem, Bilder aus der Turnhalle in Genua 2001 werden wach, wo unschuldig schlafende brutalst zusammengeknüppelt wurden. Überhaupt haben mich heute einige Bilder eher an Chile im September 1973 erinnert, als an ein demokratisches Rechtssystem. Damals hielt ich es für ausgeschlossen, daß ich jemals ähnliches mit eigenen Augen sehen werde. Doch heute hab ich Angst – und nicht nur ich – denn hier herrscht Barbarei.
Wenn Gewalt gebraucht wird, um der Welt etwas zeigen zu können, dann wird Gewalt  befohlen. Und wenn den Kampfmaschinen da draußen jemand in der Nacht den Befehl gibt, das Lager zu stürmen, dann motivieren die angeblich verletzten Polizeikollegen ungemein. Um 23.30 Uhr treffen sich die Delegierten der einzelnen Zeltgemeinschaften, um darüber zu beraten ob und wie Gegenmaßnahmen ergriffen werden können. In dieser Nacht bleibt es zwar ruhig, aber mich lassen die Eindrücke des Tages lange nicht zur Ruhe kommen.

Hier herrscht Barbarei


Die Medien haben ihre Bilder bekommen. Immer und immer wieder wurde das einzige brennende Auto gezeigt. Von wem jedoch die Gewalt ausging und wer provoziert hat – bis dann endlich doch die Steine flogen – das wissen nur wir. Wir die 80 000 bewegten Bürger, die ihren Unmut über die täglich verübten Gewalttaten der G-8–Staaten friedlich äußern wollten. Die Gewalttaten wie Krieg, Folter und Mord, wie gezielte Umweltzerstörung, Hungertod von Millionen Menschen. Es ging aber vielen um mehr. Eindeutig wurde der Kapitalismus als Grundübel herausgestellt. Das macht den Herrschenden offenbar Angst, solche Angst, daß sie wild um sich schlagen und treten lassen. Auch die Massenmedien tun ihren Dienst: Tagelang werden ihre Lügen um die Welt gehen: Rostock wurde von linken Krawallmachern aus In- und Ausland in Schutt und Asche gelegt – über 430 verletzte Beamte …

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