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Aus: China, Beilage der jW vom 01.10.2025
Volksrepublik China

Unbemerkte Aufholjagd

Mit weniger als einem Drittel des US-Rüstungsetats schließt China militärisch auf. Besonders die Marine dient zur Machtprojektion
Von Jörg Kronauer
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Chinas erster komplett unabhängig hergestellter Flugzeugträger vor der Küste von Hongkong (3.7.2025)

Noch nicht allzu lange ist es her, da fiel das Urteil der westlichen Fachwelt über Chinas militärische Fähigkeiten recht eindeutig aus. Es stimme, die Volksrepublik hole technologisch rasch auf, ihre Wirtschaft wachse beeindruckend, und sie werde ökonomisch eher früher als später mit den Vereinigten Staaten gleichziehen. Aber militärisch? Beijing gebe sich zwar wirklich alle Mühe, seine Streitkräfte zu modernisieren, stellte etwa das Pentagon im Jahr 2015 gönnerhaft fest, doch seien deren Fähigkeiten »beschränkt«. Dass die USA China dauerhaft militärisch weitaus überlegen seien, daran bestand weder in Washington noch in anderen Hauptstädten der westlichen Welt irgendein Zweifel. Sehr zu Unrecht, räumte Mitte August Alex Younger, Exchef des britischen Auslandsgeheimdiensts MI6, gegenüber BBC ein: »Wir haben den steilen Aufstieg Chinas als Militärmacht nicht bemerkt.«

China hat seine Streitkräfte in den vergangenen Jahren in der Tat systematisch und mit hohem Tempo weiterentwickelt, und es holt in puncto Rüstung immer mehr gegenüber den USA auf. Zu den wenigen Beispielen, auf die auch im Westen in der jüngeren Vergangenheit zuweilen hingewiesen wurde, gehört die chinesische Marine. Sie umfasst laut dem jüngsten Pentagon-Bericht mehr als 370 Kriegsschiffe und U-Boote, erheblich mehr als die nicht einmal 300, die die U. S. Navy aktuell zählt. Hinweise darauf kamen allerdings nie ohne die Bemerkung aus, die chinesischen Seestreitkräfte seien den US-amerikanischen zwar quantitativ, aber nicht qualitativ überlegen, könnten also im Fall einer kriegerischen Auseinandersetzung noch längst nicht mithalten. Diese Meinung muss mittlerweile zumindest punktuell relativiert werden. So habe China bemerkenswerte Fortschritte etwa bei U-Booten und bei großen Kriegsschiffen gemacht, hielt im August Yuan Jingdong vom Forschungsinstitut SIPRI aus Stockholm fest. Die Volksrepublik hole rasant auf.

Vorsprung in der Luft

Auch Chinas Luftwaffe vollzieht Entwicklungssprünge. Im Mai machte Schlagzeilen, dass sich in dem kurzen Krieg zwischen Indien und Pakistan der chinesische Kampfjet J-10C, den Pakistan nutzt, der von Indien eingesetzten französischen »Rafale« als überlegen erwies. Während Berlin und Paris sich über das Future Combat Air System zerstreiten, einen Kampfjet der sechsten Generation, der frühestens in den 2040er Jahren einsatzfähig sein soll, hat China nicht nur seinen zweiten Kampfjet der fünften Generation entwickelt – solche Kampfjets besitzen sonst nur die USA (F-22, F-35) und Russland (Su-57) –, es hat zudem schon zwei Kampfjets der sechsten Generation in Arbeit, über die auch die USA noch nicht verfügen. Im August notierte die South China Morning Post (SCMP) in einem Bericht über den Stand der chinesischen Militärtechnologie, bei der Militärparade am 3. September in Beijing werde die Drohne FH-97 zu sehen sein. Sie sei Chinas erste Tarnkappendrohne, die gemeinsam mit einem Kampfjet operieren werde – »wie ein bewaffneter Bodyguard«. Die erste derartige US-Drohne werde wohl erst 2029 fertiggestellt sein.

Einen Vorsprung hat China laut dem Urteil von Militärexperten bei den Hyperschallraketen. Die ersten Modelle hat die Volksbefreiungsarmee bereits im Jahr 2019 in Dienst gestellt. Inzwischen verfügt sie schon über mehrere, darunter Schiffsabwehrraketen – und das ist keine Randnotiz: In einem etwaigen Krieg mit der Volksrepublik wären die Vereinigten Staaten im besonderen Maße auf ihre Marine angewiesen. Gelten die chinesischen Raketenstreitkräfte allgemein als weit entwickelt, so ist die Volksrepublik verschiedenen Berichten zufolge dabei, auch ihre Nuklearstreitkräfte auszubauen. Wurde die Zahl ihrer Atomsprengköpfe lange mit rund 300 angegeben, so wird sie inzwischen auf 600 geschätzt; eine weitere Aufstockung verfolgt das Ziel, im Wettrüsten mit den USA aufzuholen, die über mehr als 5.000 Sprengköpfe verfügen. Beijing bereitet sich mit der Entwicklung von Kampfrobotern und von Drohnenabwehrwaffen auf den Landkrieg der Zukunft vor, und es entwickelt Mikrowellenwaffen. Diese können, heißt es, Drohnen, Raketen oder Satelliten in niedriger Umlaufbahn attackieren.

Zur Abschreckung hochrüsten

Von hoher Bedeutung ist, dass die modernsten chinesischen Waffen in der Regel ganz oder zumindest weitgehend auf im Inland produzierter Technologie basieren. Damit sind die chinesischen Streitkräfte nicht mehr von westlichen Bauteilen abhängig. Das ist auch deshalb relevant, weil chinesische Eigenproduktion kostengünstiger ist als Importe; dies hat es Beijing erlaubt, seine Aufholjagd in Sachen Rüstung mit einer Aufstockung seines Militärhaushalts von 145 Milliarden US-Dollar (2015) auf 249 Milliarden US-Dollar (2025) zu finanzieren. Wie die SCMP konstatiert, war das jeweils weniger als ein Drittel des US-Rüstungsetats. China ist, so scheint es, auf dem besten Wege, seine Modernisierungsziele für seine Streitkräfte zu erreichen und deren technologische Aufholjagd bis 2035 »prinzipiell komplettiert« zu haben, um 2049 über eine Armee auf »Weltklasseniveau« zu verfügen – und das bedeutet faktisch: auch militärisch auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten zu sein.

Auch in Sachen Machtprojektion schreitet Chinas Entwicklung inzwischen voran. Im Juni schreckte die chinesische Marine westliche Strategen auf, als gleich zwei ihrer drei Flugzeugträger mit ihren Kampfgruppen außerhalb der ersten Inselkette operierten, die von Japan über Taiwan bis zu den Philippinen reicht. Das sei »ein strategischer Schritt nach vorn« hinsichtlich der Fähigkeit Beijings, »Macht in den Indopazifik zu projizieren«, urteilte exemplarisch das Fachportal Breaking Defense. Bereits im Februar hatte die Volksrepublik erstmals eine Fregatte, einen Zerstörer sowie ein Versorgungsschiff zu Manövern in die Tasmansee zwischen Südostaustralien und Neuseeland geschickt. Anschließend umrundete die Flottille Australien – auch dies zum ersten Mal. War man bislang gewohnt, dass US-amerikanische oder europäische Kriegsschiffe vor fremden Küsten kreuzten und Manöver durchführten, um die Macht der westlichen Staaten zu demonstrieren, so begannen es ihnen nun chinesische Schiffe nachzutun: ein einschneidender Wandel.

Worauf läuft all dies hinaus? Die Volksrepublik rüstet nicht nur systematisch auf, um sich im Fall eines Krieges mit den Vereinigten Staaten behaupten zu können. Sie ist auch bestrebt, die Gewässer unweit ihrer Küsten kontrollieren zu können – auch dies, um potentielle feindliche Angriffe zu erschweren. Es sei zwar weiterhin angemessen, urteilte gegenüber der SCMP Liselotte Odgaard, eine Expertin vom Washingtoner Hudson Institute, »zu sagen, dass China immer noch hinter den USA zurückliegt«. Doch verschaffe es sich Stück für Stück die Fähigkeiten, um mit den Vereinigten Staaten gleichzuziehen – wohl schon »in zehn bis 20 Jahren«, sagte Odgaard voraus. Und »das bedeutet«, fuhr die Hudson-Expertin fort, »dass etwas geschehen muss, wenn die USA und ihre Verbündeten ihren Vorsprung behalten wollen«. Was das genau bedeutet, führte Hudson nicht aus.

Jörg Kronauer ist Journalist und Buchautor sowie Redakteur des Nachrichtenportals German Foreign Policy. Im Papyrossa-Verlag ist zuletzt von ihm das Buch »Die Brandleger. Der Vormarsch der transatlantischen Rechten« erschienen

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