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Aus: Ausgabe vom 01.10.2025, Seite 7 / Ausland
Gazakrieg

Wiedergänger Balfours

Gazakrieg: Bei Treffen mit US-Präsident Trump im Weißen Haus akzeptiert Netanjahu 20-Punkte-Plan
Von Helga Baumgarten, Jerusalem
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Nach außen jedenfalls signalisierte Israels Premier Zustimmung zu Trumps Vorstoß (Washington, 29.9.2025)

Wird Benjamin Netanjahu den »Friedensplan« des US-Präsidenten akzeptieren? Das war die große Frage am Montag abend, als der israelische Premier und Donald Trump nach einem gemeinsamen Treffen im Weißen Haus vor die Kameras traten. Dabei feierte sich der US-Präsident als größten Friedensbringer aller Zeiten und legte dar, warum die Hamas das Böse schlechthin sei: Schlimmere Verbrechen als am 7. Oktober hat es aus seiner Sicht in der Geschichte nie gegeben. Netanjahu dankte dem US-Präsidenten überschwenglich: für dessen Freundschaft und für den »Friedensplan«. Und er gab an, diesen zu akzeptieren. Sollte die Hamas seinem Beispiel nicht folgen, werde Israel »den Job« zu Ende führen. Dafür habe Trump seine volle Unterstützung zugesagt. Insgesamt ging es auf der Pressekonferenz vor allem um die israelischen Gefangenen und die Sicherheit Israels. Von den Menschen in Gaza war nicht die Rede.

Die arabischen Golfstaaten hatten vor dem Treffen bereits ihre Zustimmung bekundet, allerdings unter der Bedingung, dass Netanjahu sich für den Angriff auf Katar entschuldigt. Trump selbst rief während der Besprechung bei Katars Regierungschef Mohammed bin Abd Al-Rahman Al Thani an und gab das Telefon an Netanjahu weiter. Dieser versprach, ein solcher Angriff werde nicht wieder passieren. Von einer Entschuldigung war hingegen nichts zu hören. Er habe seinem Kollegen in Katar klargemacht, dass der israelische Angriff ausschließlich der Hamas gegolten habe und dass er bedaure, dass dabei ein Bürger Katars getötet worden sei, so der Regierungschef. Das hat Parallelen zu 1997, als Netanjahu sich auf Druck von US-Präsident Bill Clinton genötigt sah, sich für das Mossad-Giftattentat auf den damaligen Hamas-Chef Khalid Maschal in Amman bei Jordaniens König Hussein zu entschuldigen.

Doch was sieht der »Friedensplan« Trumps vor, der aus 20 Punkten besteht und mit der Deklaration beginnt, der Krieg ende, sobald Israel und die Hamas zugestimmt hätten? Er enthält unter anderem folgende Punkte:

  • Die israelischen Gefangenen werden innerhalb von 72 Stunden nach Zustimmung Israels zum Plan übergeben, im Gegenzug sollen 250 zu lebenslanger Haft verurteilte Palästinenser freigelassen werden, ebenso wie 1.700 Palästinenser, die nach dem 7. Oktober 2023 gefangengenommen wurden.
  • Die UNO, das Rote Kreuz und »neutrale internationale Organisationen« werden sofortige humanitäre Hilfe für Gaza auf den Weg bringen und organisieren.
  • Gaza soll übergangsweise von einer Übergangsregierung eines »technokratischen palästinensischen Komitees« verwaltet werden, zusammen mit internationalen Experten und unter der Aufsicht eines »Friedensrats«. Dieser soll von Donald Trump geleitet werden. Auch der ehemalige britische Premier Tony Blair soll darin eine entscheidende Rolle spielen.
  • Eine internationale Stabilisierungstruppe soll für »Sicherheit« sorgen und gleichzeitig palästinensische Polizeikräfte ausbilden.
  • Die Palästinensische Nationalbehörde in Ramallah muss sich vollständig »reformieren«, ehe sie eine Rolle in Gaza übernehmen darf.
  • Niemand wird aus Gaza vertrieben. Wer ausreisen will, kann ausreisen und jederzeit wieder zurückkehren.
  • Hamas und andere bewaffnete Organisationen in Gaza dürfen keine politische Rolle spielen.
  • Gaza wird unter internationaler Kontrolle demilitarisiert.
  • Hamas-Mitglieder, die ihre Waffen abgeben und »friedliche Koexistenz« zusagen, können Amnestie erhalten oder ausreisen.
  • Geplant sind ein international finanzierter »Trump-Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung«, Investitionen und eine Sonderwirtschaftszone.

Katar, die Golfstaaten und die gesamte arabische Welt stehen offensichtlich voll und ganz hinter diesem Vorhaben. Sie streichen zwei »positive« Aspekte heraus: Die Bewohner Gazas werden laut Plan nicht vertrieben, und der Krieg wird beendet. Ansonsten haben sie – ebenso wie Trump – Geschäftsinteressen. Vom Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser ist keine Rede, auch nicht von einem freien und souveränen palästinensischen Staat. Während der Völkermord weitergeht, ist der Plan nichts anderes als eine Balfour-Deklaration 2025. Diese wurde spät am Montag abend von Katar und Ägypten an die Hamas übergeben. Ob sie zustimmt, ist unklar.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (1. Oktober 2025 um 19:24 Uhr)
    Trumps Friedensplan (hier https://x.com/WhiteHouse/status/1972736025597219278 vorgeblich das Original) ist vielleicht eine annehmbare Diskussionsgrundlage, aber viel zu unausgegoren, als dass die Hamas anders als nur mit einem »ja aber« zustimmen könnte. Diverse Punkte enthalten lediglich Absichtserklärungen, Regelungen auszuhandeln. Solche Absichtserklärungen – das lehrt der Umgang des Westens mit den Minsker Vereinbarungen – bedeuten eine Verschiebung der Lösung der entscheidenden Fragen auf die Ewigkeit. So heißt es etwa (spiegel.de): »Es ist entscheidend, die Einfuhr von Munition nach Gaza zu verhindern und gleichzeitig den schnellen und sicheren Warenfluss zu ermöglichen, um Gaza wieder aufzubauen und zu revitalisieren. Ein Mechanismus zur Konfliktvermeidung wird von den Parteien vereinbart.« Praktisch dürfte das bedeuten, dass Handelshemmnisse wie die Seeblockade nicht aufgehoben werden. Oder der schön klingende Satz: »Falls die Hamas diesen Vorschlag verzögert oder ablehnt, werden die oben genannten Maßnahmen, einschließlich der ausgeweiteten Hilfsoperation, in den terrorfreien Gebieten umgesetzt, die von der IDF an die ISF übergeben wurden.« Vollkommen unklar bleibt, ob sich die derart bevorzugten Gebiete nach Quadratmillimetern oder doch vielleicht nach Quadratkilometern bemessen werden. Weiter: »die Kampflinien bleiben eingefroren, bis die Bedingungen für einen vollständigen, schrittweisen Rückzug erfüllt sind«, heißt es, ohne dass die Bedingungen hinreichend konkretisiert werden. Es gibt viele weitere Unzulänglichkeiten. Nur noch ein Zitat: »Innerhalb von 72 Stunden nach Israels öffentlicher Annahme dieses Abkommens werden alle Geiseln – lebend und verstorben – zurückgeführt.« Nun, mit Netanjahus Annahme des Plans hätte die Hamas nur drei Tage für die einer Antwort notwendig vorausgehenden inneren und äußeren Abstimmungsprozesse. Das ist vollkommen unrealistisch. Wenn kein Logikfehler vorliegt, ist hier eine der vielen mutmaßlichen Sollbruchstellen.

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