Gespaltene Eidgenossenschaft
Von Kim Nowak
In der Schweiz ist am Sonntag über zwei Vorlagen per Volksabstimmung entschieden worden: einerseits über das E-ID-Gesetz, andererseits über die Liegenschaftssteuer. Mit den Ergebnissen hatte kaum jemand gerechnet. Das SRF sprach in seiner Analyse gar von einem »Abstimmungskrimi«. Besonders beim E-ID-Gesetz fiel das Resultat äußerst knapp aus: 50,4 Prozent votierten dafür, 49,6 Prozent dagegen. Damit ist ein elektronischer Ausweis beschlossene Sache. Er soll freiwillig sein und etwa dazu dienen, Führerscheine, Diplome oder einen Strafregisterauszug digital zu bestellen. Auch beim Alkoholkauf soll er eingesetzt werden. Bereits 2021 war eine ähnliche Vorlage zur Abstimmung gelangt, die aufgrund der Ausstellung durch private Unternehmen deutlich abgelehnt worden war. d
Nahezu alle Parlamentsparteien der Schweiz warben diesmal für ein Ja – von den Sozialdemokraten über die Grünliberalen bis zur FDP. Auch der Bundesrat plädierte für die Annahme. Trotz dieses breiten Bündnisses reichte es aber nur für eine hauchdünne Mehrheit. »Es ist viel knapper, als wir gehofft haben«, kommentierte Nationalrätin Min Li Marti (Sozialdemokratische Partei, SP). Sie sprach von einer »gewissen Digitalisierungsskepsis«.
Monica Amgwerd, Generalsekretärin der von ehemaligen Mitgliedern der Piratenpartei gegründeten Organisation »Digitale Integrität Schweiz«, sieht das anders. »Es muss eine positive Digitalisierung sein, die den Menschen nützt«, erklärte Amgwerd, die auch die Kampagne des Nein-Lagers leitete. Ob der E-Ausweis künftig tatsächlich freiwillig bleibt und die Daten trotz der Absage des Ja-Lagers an private Konzerne wirklich sicher verwaltet würden, waren die zentralen Streitpunkte. Lukas Golder vom Forschungsinstitut Gfs in Bern sprach von einer »äußerst gespaltenen Schweiz zwischen Stadt und Land«: »Wo die Modernisierung schon heute viel Druck erzeugt, ist der Ja-Anteil zur E-ID höher.«
Eine ähnliche Spaltung zeigte sich auch bei der zweiten Vorlage. Die Liegenschaftssteuer ist eine jährlich erhobene Abgabe auf Grundstücke und Immobilien. Je nach Standort liegt sie zwischen 0,02 und 0,3 Prozent des Wertes. Diese Steuer wird nun teilweise abgeschafft: Wer sein Grundstück oder Haus selbst bewohnt, muss den Eigenmietwert künftig nicht mehr versteuern. Gleichzeitig können die Kantone eine »Sondersteuer« auf Zweitliegenschaften – etwa Ferienwohnungen – erheben, um die Ausfälle zu kompensieren.
Angenommen wurde die Vorlage mit 57,7 Prozent. Das Ja-Lager von FDP bis rechter Schweizerischer Volkspartei (SVP) feierte den Entscheid als Erfolg, Kritiker sprachen hingegen von einem Geschenk an die Reichen. Nationalrat Philipp Matthias Bregy von der Partei Die Mitte bezeichnete das Resultat als Sieg des Mittelstands: »Die Menschen haben realisiert, dass nicht nur die Reichen von der Abschaffung profitieren.« Die französischsprachige Schweiz stimmte geschlossen gegen die Vorlage, vier Kantone gar mit über 60 Prozent Neinanteil. Im Rest des Landes überwogen hingegen die Jastimmen deutlich – teils mit bis zu 75 Prozent.
Michael Töngi, Vizepräsident des Mieterverbandes (MV), führte das Resultat auf »volle Kriegskassen« der Hauseigentümer zurück. Die Steuerausfälle müssten am Ende die Mieter tragen. Ständerätin Eva Herzog (SP) zeigte sich ebenfalls ernüchtert, auch wenn sie nach eigenen Worten von Beginn an wenig Hoffnung hatte: »Ich habe trotzdem gehofft, dass ich mich irre.« Nationalrätin Ursula Zybach (SP) appellierte an die bürgerlichen Parteien, die »Sondersteuer« auf Zweitliegenschaften rasch einzuführen. Ob sie dabei jedoch Eile zeigen werden, ist fraglich.
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