Bereit zur Verteidigung
Von Jörg Kronauer
Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Ökonomisch erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.
Jörg Kronauer beleuchtet in der zwölfteiligen jW-Serie anhand zentraler Aspekte die Konsequenzen, die sich aus dem Aufstieg der Volksrepublik für die internationalen Beziehungen ergeben. (jW)
China ist seit Jahren einem erbittert geführten Wirtschaftskrieg des Westens ausgesetzt. Dass es womöglich auch militärisch angegriffen werden könnte, das ist eine Gefahr, die spätestens seit den 1990er Jahren in der chinesischen Politik eine wichtige Rolle spielt. Der Irak-Krieg von 1991 und der NATO-Krieg gegen Jugoslawien von 1999 zeigten deutlich, wozu der Westen in der Lage war, wenn man sich ihm nicht unterordnete. Dass die US-Streitkräfte am 7. Mai 1999 die chinesische Botschaft in Belgrad bombardierten – drei Chinesen kamen zu Tode –, wurde in Beijing als ein vielsagendes Signal verstanden. Bereits Ende 1995/Anfang 1996 hatte Washington klargemacht, womit die Volksrepublik im Fall der Fälle zu rechnen hatte: Als Beijing einen Besuch des taiwanischen Präsidenten Lee Teng-hui in den Vereinigten Staaten mit Marinemanövern und Raketentests nahe Taiwan beantwortete, fuhr die U. S. Navy erst einen Flugzeugträger, dann sogar zwei Flugzeugträgerkampfgruppen unweit der chinesischen Insel auf. Sofort war klar: Gegen einen Angriff der USA würde die Volksrepublik nichts ausrichten können.
Noch nicht. Denn Beijing zog die Konsequenzen und machte sich umgehend daran, seine Fähigkeiten zur Verteidigung gegen angreifende Kriegsschiffe oder Kampfjets systematisch auszubauen. Es beschaffte unter anderem U-Boote, mit denen sich Kriegsschiffe attackieren ließen, die der chinesischen Küste zu nahe kamen; es entwickelte Cyberkapazitäten, um feindliche Aufklärung und Kommandoketten stören zu können. Eine bedeutende Rolle spielen für Chinas Verteidigung Antischiffsraketen wie die »Dongfeng« (Ostwind) 21-D; sie hat den Beinamen »Carrier killer« erhalten, weil sie Flugzeugträger in einer Entfernung von bis zu 1.500 Kilometern zerstören kann. Jüngere Modelle wie die »Dongfeng« 26-D können bis zu 4.000 Kilometer entfernte Ziele treffen. Mit ihrer hohen Zahl an Raketen sind die chinesischen Streitkräfte prinzipiell in der Lage, im Kriegsfall US-Militärbasen und US-Flugplätze etwa in Japan, den Philippinen oder auf Guam zu zerstören, um Angriffe auf chinesisches Territorium zu verhindern. Zu Verteidigungszwecken haben sie darüber hinaus auf einigen Inseln im Südchinesischen Meer Flugabwehrraketen stationiert.
All das kostet Geld. Chinas Militärhaushalt ist seit geraumer Zeit der zweitgrößte weltweit, liegt allerdings 2023 mit 225 Milliarden US-Dollar – das sind 1,5 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts – immer noch weit unter dem offiziellen Wehretat der USA (816 Milliarden US-Dollar). Kaufkraftbereinigt erreicht er ein wenig mehr als die Hälfte des US-Streitkräftebudgets. Dass der offizielle chinesische Militärhaushalt nicht alles umfasst, was zur Aufrüstung des Landes beiträgt, trifft zu; allerdings gilt dies auch für andere Staaten – so werden etwa Mittel für die Rüstungsforschung häufig den Bildungsetats zugeschlagen. Die Volksrepublik verfügt über eine starke Rüstungsindustrie; auf der Rangliste der größten Waffenschmieden weltweit, die das schwedische Forschungsinstitut SIPRI regelmäßig publiziert, befinden sich inzwischen sieben chinesische Konzerne unter den ersten 20. Und sie exportieren nicht wenig: Die SIPRI-Statistik sah China im Fünfjahreszeitraum von 2018 bis 2022 unter den Rüstungsexporteuren weltweit auf Platz vier hinter den USA, Russland und Frankreich; mit einem Anteil von 5,2 Prozent lag es noch vor Deutschland (4,2 Prozent). Über die Hälfte der Exporte erhielt dabei ein einziges Land, nämlich Pakistan.
Bliebe noch zweierlei. China hat 2017 seinen ersten Militärstützpunkt im Ausland eröffnet. Es handelt sich um eine Logistikbasis seiner Marine in Dschibuti, die genutzt wird, um die chinesische Beteiligung an den internationalen Operationen gegen Piraterie am Horn von Afrika abzustützen. Weitere chinesische Auslandsstützpunkte gibt es bislang nicht. Zur Erinnerung: Die USA verfügen über Hunderte; Kenner nennen die Zahl 750. Und: China ist Atommacht. Es verfügt laut Schätzungen über 350 Sprengköpfe. Zum Vergleich: Die USA besitzen rund 5.400, Russland fast 6.000, Frankreich 290, Großbritannien 225. Die Volksrepublik ist die einzige unter den heutigen Atommächten, die offiziell den Ersteinsatz von Nuklearwaffen »zu jeder Zeit und unter allen Umständen« ausschließt. Zudem hat sie erklärt, diese niemals gegen Nichtnuklearstaaten einzusetzen – auch nicht zur Selbstverteidigung.
Teil sechs: »Der Wirtschaftskrieg«
Teil acht: »Taiwan«
der zwölfteiligen China-Serie von Jörg Kronauer
Lesen Sie am Dienstag Teil 8 (von 12): »Taiwan«
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In der Serie Auf dem langen Marsch. Chinas Aufstieg
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Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Wirtschaftlich erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.
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