Nicht zu, doch am Ende
Von Felix Bartels
Zweihundert tatsächliche, sechshundert gefühlte Minuten – eigentlich sollte das Verhältnis umgekehrt sein. Überwältigende Visualität kann überwältigen, ohne stimmige Handlung wird sie nicht immersiv wirken. So stellt sich selbst bei genialen Effekten weit vor dem Finale Ermüdung ein. James Cameron hat mit »Avatar: Fire and Ash« genau das geliefert: style over substance. Die Erzählung ist hier kaum mehr als Gelegenheit, Hör- und Schauwerte zu schaffen. Vorliegt ein Aggregat von Set pieces, lediglich effekttragenden Elementen, ein visuelles Pendant zur Fahrstuhlmusik also, gefällige Schönheit um nichts, die nirgends herkommt und nirgends hinführt. Seit Cameron in die in Blau getauchte Welt getaucht ist, scheint er an Storytelling kaum noch interessiert.
2009 war ihm gelungen, was keinem anderen je gelang. Er hielt Platz eins und zwei der weltweit erfolgreichsten Filme in der Kinogeschichte (nicht inflationsbereinigt), mit »Titanic« und eben dem ersten »Avatar«. Cameron hatte goldene Hände: »Aliens«, »Terminator« 1 und 2, »Titanic«, »Avatar«. Stets nahm er sich viel Zeit für Planung und Ausführung, stets waren die Würfe groß, stets autonom im Ansatz, getragen von einer eigentümlichen Idee und blockbustertauglich. Dann hat er die Ausfahrt verpasst. Statt »Alita: Battle Angel«, das er an den stilistisch unsicheren Robert Rodriguez abgab, plante Cameron weitere Avatare. Unzweifelhaft ist der Mann ein Genie – am Set ein tyrannisches, bei der Postproduktion ein virtuoses –, in der Promotion scheint er vor allem geschwätzig. Detailliert gibt er Rapport, was er gemacht hat, wie er es gemacht hat und warum, und mindest ebenso ausführlich, was er noch machen will. So ließ er 2022 durchblicken, dass, wenn man ihn denn lasse, sieben Avatar-Filme gedreht werden sollen. Warum eigentlich nicht zehn, dann ließe sich wenigstens von einem De-Cameron sprechen.
Gerade Fortsetzungen allerdings hat der Mann mal gekonnt, weil er – bei »Aliens« oder »Terminator 2« – eben nicht einfach bloß einen Stoff weiter verarbeitete, sondern dann stets auch mit einer neuen Idee an das Bekannte ging. Bei der »Avatar«-Reihe scheint er andere Sorgen zu haben. Die bereits für sich dürftige, weil schematisch und äußerlich bleibende Idee, die vier Elemente auf dem Mond Pandora durchzuspielen, ist noch dürftiger umgesetzt. Der erste »Avatar« (2009) war in luftige Höhen gegangen und dennoch geerdet geblieben, im zweiten (2022) wurde die Idee verwässert, der dritte jetzt scheint nur noch ausgebrannt, was bleibt, ist Asche. Eigentlich hat Cameron die Elemente nunmehr durchgespielt, der drohende vierte Teil soll Jake und seine Sullys ins Gebirge oder die Wüste führen, vermutlich, weil Cameron noch CGI-Material auf der Festplatte hat, soll ja nichts umkommen. Der angedrohte fünfte soll dann zum Teil auf der Erde spielen. Wo man eben landet, wenn ordinäre Ideen, weil sie zu wenig tragen, aufgegeben werden.
Das Mindset der Avatar-Welt hat für genau einen Film gereicht. Der war lang genug, doch auch solide und zu Recht erfolgreich. Anders als »Avengers: Endgame« (2,799 Milliarden US-Dollar) hat »Avatar« (2,923) seinen weltweiten Erfolg nicht der Wucht eines weltweit synchronisierten Starts zu danken, fast ein Jahr lang hielt der Film sich als Slowburner in den Kinos, Leute, die ihn schon gesehen hatten, gingen erneut ins Kino oder stifteten andere dazu an. Die Kritik warf Cameron vor, bei »Pocahontas« abgekupfert zu haben. Auch »Dances with Wolves«, »Last Samurai«, »Dune« und »Little Big Man« wurden genannt. Doch eben darum geht von einem Plagiat nicht zu reden, die Geschichte des kolonialen Eindringlings, der die Seiten wechselt, ist ein Motiv, keine individuelle Story eines bestimmten Werks, und das Motiv hat in »Lawrence of Arabia« seinen Ursprung, der seinerseits als Abwandlung des Moses-Motivs gesehen werden kann. Zwingende Folge des Motivs ist eine stereotype Charakterzeichnung: White Savior trifft auf Magical Negro, worin der antikoloniale Ansatz schon wieder unterlaufen wird, indem koloniale Muster fortgeschrieben werden. Als Handlung funktioniert das Muster, und dieses Funktionieren auf der Plotebene hat den Erfolg des ersten »Avatar« möglich gemacht. Dass mit »The Way of Water« der zweite Teil ebenfalls sehr erfolgreich war, hängt mit der Erwartung zusammen, dass der zweite Teil dem ersten gerecht werde, zumal nach 13 Jahren eine Neugier herrschte, wie die visuelle Ästhetik bei weiter fortgeschrittener Technik ausfallen wird. Beides hat sich durch »Fire and Ash« nun erledigt. Seit dem zweiten Teil sind gerade einmal drei Jahre verstrichen, und dass Cameron nach dem bloß repetitiven zweiten Teil beim dritten Teil ein weiteres Mal nichts Neues auf der Handlungsebene präsentieren werde, war einigermaßen klar. Man sieht jetzt zum dritten Mal denselben Film.
Doch mehr noch. Nicht bloß, dass »Fire and Ash« »The Way of Water« kopiert, der seinerseits bereits als Kopie von »Avatar« dem Publikum Lebenszeit gestohlen hatte – »Fire and Ash« ist auch in sich redundant. Cameron bringt es fertig, in ein und demselben Film dreimal dieselbe Story zu erzählen. Dreimal wird jemand aus der Gemeinschaft entführt, dreimal wird ein unerwartetes Bündnis eingegangen, dreimal befreit man die Geiseln. Was immer das ist, Dramaturgie ist es nicht. Als misslungen erweist sich zugleich das Pacing. Die erste Stunde zu hektisch, die zweite zu zäh, die dritte quälend länglicher Showdown. Disparat geschriebene Charaktere können das natürlich nicht retten: Zum Beispiel sammelt Jake gegen die naturorganischen Bräuche Feuerwaffen, weil allein mit ihnen die Besatzer geschlagen werden können, drei Sekunden später weigert er sich aber, den großen Drachen zu reiten, denn wer zum Ungeheuer greife, werde selbst eins. Was ist dieser Jake nun, Pragmatiker oder Dogmatiker? Der Widerspruch übrigens ginge zu schreiben, doch dann muss man ihn als Widerspruch gestalten. Am Ende entfaltet sich die große Schlacht, die auch in den anderen Teilen schon zu sehen war. Eingeborene kämpfen gegen Besatzer und gewinnen, weil Baum, hier: Eywa, die florale Göttin aus der Maschine. Dass die Trope des siegenden Underdogs nicht zu oft wiederholt werden kann, ist ein elementares Problem der Reihe. Seriensiege eines unterlegenen Volks machen die Unterlegenheit zur bloßen Behauptung, eine Fallhöhe innerhalb der dramatischen Kollision ist nach dem dritten Film kaum noch vorhanden.
Hinzukommt, dass »Fire and Ash« auch bildästhetisch scheitert. Natürlich ist der Film, wie immer bei Cameron, State of the Art. Doch anders als in den Teilen zuvor ist das Szenenbild überladen mit Details, im landschaftlichen Hintergrund, am vordergründigen Blocking, mit durch die Szene wimmelnden Lebewesen, und weil das alles noch nicht unruhig genug ist, wird das Setting durch eine mehr hektisch denn dynamisch bewegte Kamera eingefangen. Immerhin dergestalt erweist der Film sich als Werk aus einem Guss, denn die visuelle Hektik reproduziert das unruhestiftende dramaturgische Pacing, das in seltsamem Kontrast zur allenthalben behaupteten Esoterik der Avatar-Welt steht. Wenn Jake und die anderen wenigstens den Mund hielten, wär alles halb so schlimm.
»Avatar: Fire and Ash«, Regie: James Cameron, USA 2025, 197 Min., bereits angelaufen
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