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Aus: Ausgabe vom 20.12.2025, Seite 11 / Feuilleton
Film

Auf der Suche nach wunden Punkten

Zum Tod des schwulen Filmemachers Rosa von Praunheim
Von Manfred Hermes
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Rosa von Praunheim (26.11.1942–17.12.2025)

Vor einem Monat wurde ich zu einer Eröffnung in der Nähe des Nollendorfplatzes regelrecht geschleppt. Ich wollte da auf keinen Fall hin. Was sollte man von einer Ausstellung mit Bildern von Rosa von Praunheim und Rinaldo Hopf erwarten? Es war wie befürchtet, man spielte dort Salon, im Galerieraum prangte ein Konzertflügel, und es gab auch eine Bar. Aber das Publikum war angenehm gemischt und auch Praunheims Leinwände taten überhaupt nicht weh. Das waren einfach schrille kleine Dinger über Sex, Männer, Körper, die nicht mehr sein wollten, als sie sind.

Aber dann schlug diese Nachricht ein: Praunheim hatte mitgeteilt, er leide an einem Gehirntumor und habe nicht vor, sich noch behandeln zu lassen. Sobald die Schmerzen unerträglich würden oder er sonst nicht weiterwisse, würde er Sterbehilfe in Anspruch nehmen. Bis dahin war mir nicht mal aufgefallen, dass er sich nur noch mit einem Rollator fortbewegen konnte. Es baumelten da Plastikblumen und ein glitzernder Totenkopf, während er heiter seinen Urinbeutel zeigte, vor allem dem Mann mit der Kamera. Alles wie gehabt, könnte man sagen, und Praunheim sah nicht mal besonders gebrechlich aus. Dass dann alles so schnell gehen würde, war nicht zu ahnen.

Für mich zumindest war die Stimmung nun gekippt, die bunte Szenerie hatte sich in etwas weich Erhabenes verwandelt. Vom Ort war alles Banale abgefallen, und diese Veranstaltung wurde als die heitere, unsentimentale Abschiedsgeste erkennbar, als die sie vermutlich geplant war. Aber es nützte nichts, das war jetzt eine Trauerfeier. 55 Jahre mit Praunheim, das ist eben eine lange Zeit, da sind einige Anlässe für Melancholie zusammengekommen.

Zum Beispiel 1971. Eines Nachts sollte ein Film mit einem etwas ausladenden Titel im Fernsehen laufen: »Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt«. Ich kann mich gut erinnern, wie ich mich im Dunklen zum Fernseher schlich, den Ton sehr leise drehte und nah vor dem Gerät verharrte. Niemand durfte was mitkriegen. Das wäre eine gute Gelegenheit, die atemberaubende Geschichte einer rapiden Frühpolitisierung zu erfinden. Zwar war mir der Skandal um die Ausstrahlung nicht entgangen, der Bayerischen Rundfunk hatte protestiert und sich für den Abend aus dem ARD-Verbund ausgeschaltet. Aber eigentlich war ich nur an nackten Männern interessiert. Meine Hoffnung wurde nicht komplett enttäuscht, aber das hochfahrende Pamphlet ließ mich nicht erhitzt, sondern ratlos zurück. Seine plakativen Forderungen gingen erst recht an mir vorbei: Werdet viele! Ändert euer Leben!

Und so hat vielleicht jeder seine eigene kleine Praunheim-Geschichte zu erzählen. Wenn es aber in den – übrigens erstaunlich ausführlichen – Nachrufen in der »Tagesschau« hieß, der Film habe dem »queeren Selbstbewusstsein« wie nichts sonst aufgeholfen, dann ist das eine Verdrehung der Tatsachen, die einfach nur noch nett gemeint ist. Es war vielmehr so: Noch in den 80ern sah das homosexuelle »Juste Milieu« in Praunheim vor allem einen Nestbeschmutzer. Ich kann mich nicht an einen einzigen Schwulen erinnern, der ein gutes Haar an »Nicht der Homosexuelle …« gelassen hätte.

Um 1980 habe ich den Film ein weiteres Mal gesehen, und da war ich restlos begeistert. Auch wenn Praunheim die Soziologie dieser Lovestory etwas nachteilig zugespitzt hatte, so waren die parodierten Typen und ihr Gewese doch derart nachvollziehbares 1970, dass es einfach auch witzig war. Es war aber auch die auffällige Maßnahme, den Dialogton leicht versetzt ans Bild anzulegen, die von einer zupackenden Unerschrockenheit zeugte, hier dem Technischen gegenüber. Damit hatte Praunheim auch eine Spur zur internationalen Filmavantgarde gelegt. Deren Blüte war nach dem Zweiten Weltkrieg auch durch die Ausdehnung des Surrealismus Richtung USA verstärkt worden. Der Surrealismus stand auch für eine sexuelle Avantgarde und so zog eine neue Viszeralität ein. Jetzt gab es nicht mehr nur Cocteau und Genet, es kamen auch die Filme von Kenneth Anger, Jack Smith oder Andy Warhol dazu, mit ihrer immensen Proliferation des Sexuellen und der Begehren, die die Leute teilweise bis heute beschäftigt.

In diese Geschichte waren auch Praunheims Filme noch verwickelt, sie bildeten einen wichtigen Ausgangspunkt, den er aber in etwas Volkstümlicheres verschieben wollte. Ebenfalls 1971 hatte er z. B. den ersten »Bettwurst«-Film gedreht, eine aberwitzige Burleske, die um so mehr mit John Waters gemeinsam hatte, als auch der ja stark von Mike und George Kuchars Trashfilmchen beeinflusst war.

Praunheims filmkünstlerische Sensorik blieb auch weiterhin grobstofflicheren Bereichen verpflichtet, die seiner lauten und kämpferischen Homosexualität ohnehin gemäßer war. Für die politische Schlagkraft seiner Filme war das natürlich kein Nachteil, so wie sich ja auch der krude Stil seiner Selbstinszenierungen mit der praktischen Militanz der emanzipatorischen Bewegungen in den USA gut verknüpfen ließ. Dass er vom zupackenden, einfallsreichen Aktivismus der Amerikaner gerne etwas mehr auch in Westdeutschland gesehen hätte, machte er in der Pamphlet-Trilogie klar, die er 1990 über die AIDS-Krise und die Leute von Act Up drehte.

In den Spielfilmen seit den 1980er Jahren funktionierte Praunheims schlampiger Ad-hoc-Stil dagegen oft nicht so gut. Das konventionell Dramaturgische lag ihm nicht, was ihn nicht davon abhielt, noch einen weiteren Spielfilm zu drehen. Für Filme wie »Affengeil« mit Lotti Huber (1990), »Neurosia« (1995) mit Evelyn Künneke und Désirée Nick oder dem autobiographischen »Satanische Sau«, der noch in diesem Jahr auf der Berlinale lief, galt dann aber, dass Gelungenheit keine relevante Kategorie für diesen Filmemacher war. Komik allerdings schon.

Vor allem blieb »Sex«, das Sexuelle, die Sexualitäten sein programmatisches Zentrum und das alles verbindende Freiheitstheorem. Da wollte er es dann auch immer ganz genau wissen. Als Homosexualität kein Tabu mehr war, versuchte er halt, mit Erweiterungen wie Nekrophilie oder Kannibalismus anzuecken.

Effizienter und weniger albern ließen sich Praunheims Methoden in Dokumentarfilmen anwenden, von denen er unzählige drehte. Seine Begabung, nach der Ausdrucksfähigkeit und dem Glanz der Menschen zu schürfen, war ihm da besonders nützlich. Und es stimmt, er interessierte sich für Menschen, besonders für Bohèmeleute (»Tally Brown, New York«, 1979, »Überleben in New York«, 1989, »Überleben in Neukölln«, 2017), Künstler und Überlebenskünstler, Exponenten diverser Subkulturen, da interessierte ihn auch die historische Perspektive (»Anita – Tänze des Lasters«, 1987). Genauso gut konnte es aber auch um Dominas oder Stricher gehen (»Die Jungs vom Bahnhof Zoo«, 2011), um schwule Nazis (»Männer, Helden, schwule Nazis«, 2005) oder sterbende und alte Schwule. Auf der Suche nach deren Öffnungen und wunden Punkten konnte er ganz schön penetrant und erbarmungslos sein, allerdings hat er sich auch selbst nie geschont. Autobiographische Beschwörungen waren schließlich ein weiterer Fokus seiner vielen Beschäftigungen (»50 Jahre pervers«, 1993, »Meine Mütter«, 2007, »Praunheim Memoires«, 2014).

So ging es immer weiter. »Kreativ«, das war für Praunheim ja kein Schimpfwort, sondern bedeutete: immer irgendwas machen, Gedichte, Zeichnungen, malen, noch mehr Gedichte, und natürlich einen Film pro Jahr drehen, besser drei oder dreißig (wie im Jahr 2012).

Praunheim war dadurch immer irgendwie da. Vor zwei Wochen habe ich ihn zufällig in Deutschlandfunks »Denk ich an Deutschland« gehört. Er fand da in seiner klaren Diktion für dieses Deutschland überraschend milde Worte und zeigte sich aufrichtig dankbar für die Möglichkeiten, die ihm (die hiesigen Öffis) geboten hatten. Noch wenige Tage vor seinem Tod verbreitete er die Nachricht von seiner Trauung über alle Kanäle. Offensichtlich war er gut organisiert und blieb konsequenterweise auch beim Sterben die schamlose Rampensau.

Jetzt ist er aber wirklich tot und hinterlässt einen großen Abdruck aus vielen kleinen Teilen. Ich glaube, in seinem Andenken werden sich noch Tränenschleusen öffnen.

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