EU versucht sich in Protektion
Von Luca von Ludwig
Die schier unendliche Warenvielfalt, die der Kapitalismus hervorbringt, hat ihre Tücken. In Frankreich sind die Gemüter erhitzt, seit vor einiger Zeit auf dem chinesischen Shoppingportal Shein eine einem Kinderkörper nachempfundene Sexpuppe angeboten wurde. Am Freitag sollte ein Gericht darüber entscheiden, ob der Handelsriese – oder zumindest dessen Seite, über die Dritte Angebote inserieren können und von der die Puppe kam – gesperrt werden soll. Am frühen Nachmittag kam dann die Entscheidung, nach der Shein vorerst einer Sperre entgeht. Die Angelegenheit scheint damit zwar zunächst erledigt, doch lohnt sich ein Blick auf die Hintergründe. Denn das Verfahren reiht sich ein in eine Reihe von Schritten, mit denen die sonst so marktliberale EU der Konkurrenz aus China einen Riegel vorschieben will.
Doch zunächst zur Sache: Im Oktober gab es einen öffentlichen Aufschrei, weil auf Sheins Website die oben beschriebenen Puppen sowie einige in Frankreich verbotene Waffen (bestimmte Messer und Schlagringe) entdeckt wurden. Paris drohte umgehend mit Sperrung, auf EU-Ebene wurde ein Auskunftsersuchen angestoßen, auf das Shein durch seine Klassifizierung als »sehr große Onlineplattform« innerhalb des Staatenbundes verpflichtet ist, einzugehen. Shein gab seinerseits an, dass die Angebote zwar von Drittanbietern kämen, man jedoch die Verantwortung übernehme und die Inserate gesperrt habe. Zudem wurde die gesamte Kategorie »Produkte für Erwachsene« vorerst von der Seite genommen. Dies war nun auch ausschlaggebend für die gerichtliche Abweisung des Sperrantrags.
Illegale oder zumindest fragwürdige Produkte sind allerdings auf Shoppingseiten mit Abermillionen von Angeboten praktisch unvermeidlich. Dass die Regierenden bei dem Verfahren gegen Shein vorrangig Verbraucher- oder Kindesschutz im Blick haben, darf man bezweifeln. Vielmehr geht es um die Sorgen des hiesigen Kapitals, das seine Absatzmärkte verliert.
Letztlich ist es empört über die kostengünstigen chinesischen Angebote. »Billigpakete« ist der Jargon, auf den sich die Presselandschaft hierzulande geeinigt hat, oder bei Bild gleich »Paket- und Müllflut aus dem Kommunistenreich« (was das Blatt natürlich nicht abhält, Anzeigen des Konzerns zu schalten, aber das nur am Rande). So war auch in diversen Berichten die Rede von »unlauteren Wettbewerbspraktiken« bei Shein, die jedoch kaum näher definiert wurden. Das Unternehmen gilt als einer der global führenden Fast-Fashion-Konzerne und verschickt einigen Schätzungen nach zusammen mit Temu, ebenfalls ein chinesischer Onlinehändler, allein innerhalb der BRD 400.000 Pakete pro Tag.
Die Fast-Fashion-Industrie muss nicht beschönigt werden – die enorme Produktpalette besteht aus scheinbar wahllos in Masse gefertigten Designs, oftmals wird am Material gespart. Zum Einsatz kommen überwiegend synthetische Stoffe, was zu einer langfristigen Müllbelastung der Umwelt führt. Die Arbeitsbedingungen sind in der Mehrheit der Fälle miserabel.
Wenn jedoch die Lobbyisten des EU-Kapitals gegen dieses Geschäft Sturm laufen (zum Beispiel der Handelsverband Deutschland, der sich für eine Abschaffung der Zollfreigrenze einsetzt), dann hat das zuvorderst mit ihren Sorgen um die eigene Geschäftsbilanz zu tun. Sie verlieren den kapitalistischen Wettbewerb, weil die Kundschaft sich immer öfter entscheidet, für Waren, die ohnehin nicht lange halten sollen, lieber weniger Geld auszugeben und dies bei den Unternehmen zu lassen, die dennoch ausreichende Qualität liefern – in diesem Fall bei chinesischen. Weil nicht sein soll, was nicht sein darf, soll die Regierung einspringen und den »Freien Markt« im Sinne der hiesigen Konzerne verzerren. Die EU-Minister tüfteln an Gegenmaßnahmen; vergangene Woche wurde übergangsweise bereits eine pauschale Abgabe von drei Euro auf niedrigpreisige Pakete beschlossen.
Die eingeführten Zölle spiegeln auf Seiten der Handelsbranche die Bedenken der Stahlindustrie, die sich seit Monaten vehement gegen günstigere Importe aus der Volksrepublik wehrt. Unfreiwillig bestätigt die EU jedoch die eigene ökonomische Schwäche: Nicht nur schafft es die hiesige Industrie nicht, die Binnennachfrage aus eigener Kraft zu Preisen zu decken, die sich die hiesigen Verbraucher auch leisten können und wollen, sondern sie hat auch keine anderen Waren, die sie nach China in einem Maß, welches das Handelsdefizit ausgleichen würde, exportieren könnte. Die Kahlschläge in den Sozialsystemen tun ihr übriges. Mit einer Bevölkerung, die jeden Euro zweimal umdrehen muss, ist eben keine Konsumgesellschaft zu machen.
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