Nicht mehr konkurrenzfähig
Von Jörg Kronauer
Der jüngste Bericht der OECD zur Lage auf dem Weltmarkt für Stahl bestätigt es: Die Aussichten für Europas problemgeschüttelte Stahlindustrie sind düster. Laut der OECD hat diese Entwicklung eine Menge mit der Entwicklung desjenigen Landes zu tun, das im vergangenen Jahr mehr als 53 Prozent der globalen Stahlproduktion stellte und damit das größte Schwergewicht in der Branche ist, nämlich China. Der Rohstahlverbrauch der Volksrepublik ging in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurück, von 2020 bis 2023 sank er um beinahe 10,3 Prozent. Parallel dazu hat die chinesische Stahlindustrie begonnen, ihre Rohstahlproduktion zu reduzieren, allerdings in geringerem Tempo: Von 2020 bis 2024 sank sie um rund 5,6 Prozent. Die Konsequenz: Lagen Produktion und Verbrauch in China noch 2020 fast gleichauf, so übersteigt die Erzeugung von Rohstahl dessen Konsum mittlerweile spürbar. Das hat zur Folge, dass die chinesische Stahlindustrie, um nicht auf ihrem Ausstoß sitzenzubleiben, immer größere Mengen zu exportieren sucht. Im vergangenen Jahr wuchs der Stahlexport der Volksrepublik auf 118 Millionen Tonnen. Das ist eine stolze Menge – doppelt so viel wie noch 2020. Zum Vergleich: Die Rohstahlnachfrage in der EU und Großbritannien zusammen lag zuletzt bei rund 150 Millionen Tonnen.
Dass der rasch steigende chinesische Export die Konkurrenz unter Druck setzt, liegt nahe – es ist ein im Kapitalismus übliches Geschehen. China ist zudem nicht das einzige Land, das seine Exporte gesteigert hat – auch die Staaten des südostasiatischen Bündnisses ASEAN führten 2024 ein gutes Drittel mehr Stahl aus als 2020. Die ohnehin angespannte Lage droht sich nun weiter zuzuspitzen, weil der globale Verbrauch zwar wohl nur wenig wachsen wird, zugleich aber neue Kapazitäten gebaut werden – bis Ende 2027 für eine voraussichtliche Produktion von zusätzlich 165 Millionen Tonnen Stahl. Bis zu 47 Millionen Tonnen sind in China geplant, bis zu 30 Millionen Tonnen in Indien, jeweils knapp 22 Millionen Tonnen in Europa (inklusive Türkei) sowie in Mittelost und fast 15 Millionen Tonnen in den ASEAN-Staaten. Das Überangebot wird also wachsen.
Was tun? Die OECD nimmt vor allem China aufs Korn. Sie erklärt, die Volksrepublik zahle ihrer Stahlindustrie hohe Subventionen – zehnmal so viel wie die OECD-Staaten, die Staaten der wohlhabenden westlichen Welt. Damit erziele sie so günstige Preise, dass sie ihren Stahl sehr erfolgreich exportieren könne. Nun sind Stahlsubventionen auch im Westen durchaus üblich. Thyssen-Krupp etwa erhält für den Umbau eines Hochofens zu einer Grünstahlanlage die schlappe Summe von zwei Milliarden Euro. Wie auch immer es sich aber im Detail mit den Subventionen verhält: Fest steht, dass seit vergangenem Jahr mehrere Staaten Stahlzölle verhängt haben, um ihre eigene Stahlindustrie gegen auswärtige Konkurrenz zu schützen – Brasilien, Mexiko, Südafrika und die Türkei beispielsweise. Sie richten sich vor allem gegen Stahlimporte aus China.
Das sollte freilich nicht davon ablenken, dass die Probleme der europäischen Stahlindustrie zum guten Teil hausgemacht sind. Da wären zum einen die hohen Energiepreise, die auch auf die mutwillig verhängten Erdgassanktionen gegen Russland zurückgehen. Dann sind da die Probleme bei der Umstellung auf grüne Stahlproduktion. Nicht zuletzt schafft die Trump-Administration mit ihren vollkommen willkürlich verhängten 25-Prozent-Stahlzöllen neue und ernsthafte Schwierigkeiten.
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