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Aus: Ausgabe vom 30.10.2025, Seite 5 / Inland
Auslandsgeschäfte

Das Jammern der Kapitalisten

Wirtschaftsministerium veranstaltet Außenhandelstagung. Volksrepublik China Hauptfeind. Kapital klagt über erfolgreiche Konkurrenz und ruft nach mehr staatlicher Förderung
Von Luca von Ludwig
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Händeschütteln mit dem Kapital: Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche auf dem Außenwirtschaftstag

Etwas in Richtung »Deutsches Auslandsgeschäft – alle nur gemein zu uns« wäre auch ein treffender Titel für den diesjährigen Außenwirtschaftstag gewesen, zu dem das Bundeswirtschaftsministerium am Dienstag zahlreiche Unternehmer nach Berlin geladen hatte. Auf der Konferenz – die bezeichnenderweise nicht im Haus des Ministeriums, sondern in der Zentrale der Deutschen Industrie- und Handelskammer stattfand – diskutierten Lobbyisten und Regierungsvertreter über die BRD-Außenhandelsbeziehungen. Heraus kamen eine Mischung aus Gejammer über zu erfolgreiche Konkurrenz, Beschwerden über angeblich überbordende Regulierung und der gleichzeitige Ruf nach mehr staatlicher Lenkung.

Reiche holt aus

Nachdem die Anwesenden mit einem Imagefilm der staatlichen Wirtschaftsförderungsagentur Germany Trade and Invest, die die Veranstaltung mit ausrichtete, gelangweilt wurden, hielt Bundeswirtschaftsminiserin Katherina Reiche (CDU) ihre Eröffnungsrede. Grundtenor: Andere Staaten rennen der BRD unzulässigerweise ihren Rang in der globalen Marktkonkurrenz ab. Wo die deutsche Wirtschaft in den vergangenen 25 Jahren, wenn auch mittelmäßig, wuchs, habe sich China jährlich eine Volkswirtschaft der Größe Spaniens »einverleibt«. Ferner ist es der Ministerin ein Dorn im Auge, dass die Welt nicht nach deutscher Pfeife tanzt, oder im Regierungssprech: Die abhandengekommene »wirtschaftliche Stärke erlaubt uns, für Regeln im internationalen Handel einzutreten, die unseren Interessen dienen«. Erfrischend ehrlich, immerhin.

Überhaupt ist es für Reiche ein Unding, dass die Volksrepublik Ansprüche auf Ressourcen erhebt, die sie selbst im eigenen Land abgebaut und weiterverarbeitet hat. Wenn die Ministerin konstatiert, dass China die Verarbeitungskette seltener Erden jahrzehntelang »systematisch aufgebaut und Lieferketten von A bis Z analysiert« hat, dann ist das für sie kein Beispiel für eine erfolgreiche Wirtschaftslenkung, sondern die daraus entspringende Vorrangstellung bei Halbleitern ein Affront gegen deutsche Machtansprüche. Denn genau das seien doch »jene Rohstoffe, die wir gerade brauchen, um unsere Transformation nach vorn zu bringen«.

Als Gegenmaßnahme zu den wenig guten Aussichten des deutschen Kapitals versprach Reiche den versammelten Geschäftemachern mehr staatliche Hilfestellung: Von der Außenwirtschaftsförderung (sprich: Subventionierung) über die »konsequente Vertiefung des europäischen Binnenmarktes« bis zur Öffnung neuer Märkte in Lateinamerika, im Indopazifik und in Mexiko durch Handelsabkommen war für jede Branche etwas dabei. Auch in der Ukraine winkten rosige Investmentchancen. Im Inland soll es derweil dem Sozialstaat als »Belastung für den Kostenfaktor Arbeit« an den Kragen gehen, der »unnötigen Bürokratie« sowieso. So gebe es immer mehr Arbeitsplätze allein für das Bewältigen von bürokratischen Aufgaben, sagte die Ministerin bei einer nachfolgenden Podiumsdiskussion. »Das ist die falsche Richtung. Können sie gern klatschen.« Artiger Applaus.

Kapital will den Staat

In etwa diesem Rahmen bewegten sich auch die übrigen Veranstaltungen des Tages: Ob bei Diskussionen zur Rüstungsindustrie, zur »Zusammenarbeit« mit sogenannten Entwicklungsländern oder zum Investieren auf dem afrikanischen Kontinent, überall ertönten die Klagen über den Konkurrenzdruck und angeblich überhandnehmende Regulierung. Bemerkenswert war lediglich, wie deutlich die Industrie eine stärkere staatliche Lenkung ihres Treibens herbeisehnt: Bei einer Diskussion zur strategischen Ausrichtung der Entwicklungshilfe beispielsweise wurde sich ein Ansatz nach dem Prinzip »Team Deutschland« gewünscht, also das ressort- und branchenübergreifende gemeinsame Auftreten von Regierungs- und Wirtschaftsvertretern beim Anberaumen von Projekten. Es drängt sich der Eindruck auf, die Konzerne wollen vom Staat Investmentspielplätze vorbereitet bekommen.

Man könnte die Dinge auch nennen, wie sie sind: Der freie Markt hat seine Arbeit getan, die unattraktiven Angebote der deutschen Industrie wurden global abgestraft, und das BRD-Kapital sieht einer historischen Talfahrt ins Auge. Weil Konkurrenz nur Spaß macht, wenn man gewinnt, soll nun der Staat einspringen – nicht mit schlichten Abnahmegarantien oder dergleichen, sondern als ideeller Gesamtmanager. Deutsche Konzerne bestehen darauf, dass Investitionen durch Förderungen und Kredite abgedeckt sowie Risiken durch diplomatische Bemühungen abgewendet werden und ihnen bei der Ausbeutung der Arbeiter freie Hand gelassen wird. Was auf chinesischer Seite als »unfaire Handelspraktiken« oder unzulässige Subventionen bezeichnet wird, wünscht sich das hiesige Kapital für sich selbst – nur, ohne sich auch auf die entsprechende Verantwortung einzulassen.

Sie wollen, mit anderen Worten, staatlich betreutes Privatwirtschaften, sind aber noch zu feige, sich das auch einzugestehen.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (30. Oktober 2025 um 10:07 Uhr)
    Der Artikel zeigt deutlich das Grundprinzip kapitalistischer Ökonomie: Gewinne werden privatisiert, Verluste sozialisiert. Dieses »staatlich betreute Privatwirtschaften« ist längst kein Ausnahmefall mehr, sondern ein strukturelles Merkmal des Systems. Besonders seit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Staat weiter verschoben: Die globalen Finanzvermögen von Konzernen und Anlegern übersteigen die verfügbaren Haushaltsmittel aller Staaten um ein Vielfaches. Diese Konzentration privater Finanzmacht hat zur Folge, dass Regierungen zunehmend als Dienstleister des Kapitals auftreten – sie sichern Investitionen ab, eröffnen neue Märkte diplomatisch und tragen die Risiken, während die Profite privat bleiben. Wenn also die Wirtschaft nach »mehr Staat« ruft, meint sie nicht soziale Verantwortung oder demokratische Kontrolle, sondern staatliche Rückendeckung für private Geschäfte. Genau darin liegt die Ironie des so hochgelobten freien Marktes.

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