Justiz auf der Anklagebank
Von Fabio Nacci
Abends ist der Siegesplatz in Bukarest von weihnachtlichen Lichterketten erhellt. Allerdings tauchen seit mehreren Tagen zwischen den Lichtern nicht ganz so feierliche, handgeschriebene Schilder auf: »Unabhängige, nicht gehorsame Richter!«, »Wir wollen Gerechtigkeit, nicht Immunität«. Vor dem Regierungsgebäude versammeln sich innerhalb weniger Stunden Studenten, Rentner, Beschäftigte, Familien. Tausende haben in Rumänien in den vergangenen Tagen so gegen die Justiz protestiert. Hintergrund ist die am Dienstag vergangener Woche veröffentlichte Dokumentation »Justiție Capturată«, zu Deutsch: Gekaperte Justiz, des Senders Recorder.
In zwei Stunden rekonstruiert die Recherche detailliert Justizmissbrauch: wie aufgrund politischer Interessen bedeutende Korruptionsverfahren, beispielsweise durch die Besetzung der juristischen Gremien, beeinflusst und verschleppt worden sind. Auf Youtube veröffentlicht, überschritt das Video innerhalb von zweieinhalb Tagen die Marke von 3,2 Millionen Aufrufen. Als die Dokumentation zur besten Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen TVR 1 ausgestrahlt wurde, erreichte die Einschaltquote einen Höchstwert von 382.000 Zuschauern – eines der besten Ergebnisse des Jahres, übertroffen nur von der TV-Debatte zu den Präsidentschaftswahlen im April.
Die Recherche von Recorder identifiziert drei zentrale Akteure der Praktiken: die Antikorruptionsbehörde DNS, das Berufungsgericht von Bukarest und den Obersten Rat der Magistratur. Hochrangige Justizbeschäftigte berichten detailliert, wie ihre Institutionen politisch gelenkt werden. Ein bekannter Fall: der Korruptionsprozess gegen den ehemaligen sozialdemokratischen Bürgermeister Bukarests, Marian Vanghelie. Ihm wird vorgeworfen, zwischen 2007 und 2014 Bestechungsgelder in Höhe von 30 Millionen Euro angenommen zu haben. Mehrere Anklagepunkte verjährten bereits 2017, weitere 2024. Als der Fall aufgrund mehrerer Richterwechsel erst nach zehn Jahren in diesem März abgeschlossen wurde, kam Vanghelie mit Geldstrafen davon.
In der Dokumentation taucht immer wieder ein Name auf: Lia Savonea. Sie war Präsidentin des Obersten Gerichtshofs und ist Mitglied des Obersten Rats der Magistratur und steht demnach in engem Kontakt mit den Regierungsparteien. Ihr wird eine zentrale Rolle bei der Besetzung richterlicher Gremien in sensiblen Fällen zugeschrieben. Viele Demonstranten zeigen ihr Bild auf Plakaten. Sie ist jedoch nicht das einzige Ziel der Proteste. Radu Marinescu, ein Anwalt, der in der Vergangenheit lokale Amtsträger in Korruptionsverfahren verteidigte, sowie Cătălin Predoiu, mehrfacher Justizminister und nun Innenminister, stehen ebenfalls im Fokus der Rücktrittsforderungen. Mehrere hundert Richter und Staatsanwälte haben mittlerweile einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie eine Stärkung des rumänischen Justizsystems vor politischer Einflussnahme und den Schutz von Whistleblowern fordern.
Auf den Protest haben Politik und Justiz reagiert. Der Oberste Rat der Magistratur spricht von einer Kampagne zur Delegitimierung der Justiz, kündigte jedoch die Einschaltung der Justizinspektion zu einer Überprüfung an. Das Berufungsgericht Bukarest berief am Donnerstag vergangener Woche eine außerordentliche Pressekonferenz ein, auf der sie die Vorwürfe zu widerlegen suchte. Doch während der Veranstaltung meldete sich eine Richterin zu Wort, bestätigte mehrere Passagen der Dokumentation und beschrieb ein Klima, das sie als »toxisch« bezeichnet, mit Magistraten, die eingeschüchtert würden.
Präsident Nicușor Dan hat nun für kommenden Montag Konsultationen mit der Justiz angekündigt, um Hinweise zu sammeln und einen Bericht über die Schwachstellen des Systems zu erstellen. Ebenso hat die von Premierminister Ilie Bolojan von der Nationalliberalen Partei geführte Regierung eine Untersuchung versprochen.
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