Schaler Sieg
Von Reinhard Lauterbach
War vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) irgendein anderes Urteil zur Abgrenzung der Kompetenzen zwischen nationalem und EU-Recht zu erwarten? Nein. Dass eine der Institutionen der EU den Vorrang von deren Recht betont, dürfte eine Binse sein. Das Urteil gegen die polnische Justiz kann sich auf den Text der Beitrittsverträge berufen, mit deren Unterzeichnung alle Mitgliedstaaten den Vorrang des EU-Rechts anerkannt haben.
Und jetzt? Das Luxemburger Urteil bestätigt die Rechtsauffassung der Tusk-Regierung, aber es löst keines der Probleme, die Polens Justiz seit den »Reformen« der von 2015–2023 amtierenden PiS-Regierung hat. Etwa ein Drittel der polnischen Richter sind in diesen acht PiS-Jahren ernannt worden. Ist jetzt eine durch eine Familienrichterin dieser Generation ausgesprochene Scheidung unwirksam, weil sie unter Verletzung von Formalien, die kein normaler Bürger versteht, ins Amt gekommen ist und deshalb im Lichte des EU-Rechts »kein Richter ist«? Schon jetzt erreicht die Dauer der laufenden Verfahren vor polnischen Gerichten Rekordwerte. Will Justizminister Waldemar Żurek alle Konsequenzen aus dem Luxemburger Urteil ziehen, wird sich daran so schnell nichts ändern. Denn ein Drittel der polnischen Richter davon auszuschließen, was ihres Amtes ist, ist nicht nur praktisch kaum durchführbar, ohne die Justiz endgültig lahmzulegen. Es wirft auch die Frage auf, wie mit Kandidaten für Richterämter umgegangen werden soll, deren Lebensalter dazu führte, dass sie eben von einem PiS-Justizminister ernannt worden sind. Hier dürfte der Vorwurf einer Benachteiligung im Lichte der – wohlgemerkt auf EU-Recht beruhenden - Antidiskriminierungsrichtlinie nicht weit hergeholt sein.
Und das sind nur die praktischen Schwierigkeiten. Gut: Luxemburg hat entschieden, dass europäisches Recht Vorrang vor polnischem genießt. Und das polnische Verfassungsgericht, besetzt mit PiS-Funktionären im Justizdienst, sieht es genau andersherum. Über dem Verfassungsgericht steht juristisch niemand mehr, moralisch vielleicht der in Polen gern beschworene Herrgott und politisch der Präsident. Was, wenn der die zahllosen neuen Nominierungen, Versetzungen und Degradierungen, die die Justizreform in der Durchführung voraussetzt, nicht unterschreibt? Dauerclinch droht, und der ist nicht produktiv.
Und der Verweis auf die 2004 beim EU-Beitritt eingegangenen Verpflichtungen könnte ganz schnell nach hinten losgehen: Die Zahl der Anhänger der polnischen EU-Mitgliedschaft ist seit 2022 von knapp 80 auf jetzt etwas über 60 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Befürworter eines Polexits dagegen auf inzwischen gut 25 Prozent gestiegen. Und die polnischen Rechtsparteien agitieren immer offener für den polnischen Austritt. Er kann bei entsprechenden Mehrheiten vom Sejm mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Und dann?
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