Millimeter um Millimeter
Von Reinhard Lauterbach
Es kann natürlich Zufall gewesen sein oder eine Flüchtigkeit der Agenturen, die nach dem Besuch von Wolodimir Selenskij in Brüssel mitten in der Nacht die – aus Reportersicht – ohnehin immer selben Phrasen in die Tastatur klopfen mussten. Aber aufhorchen ließ es doch, was da in der Nacht zum Dienstag zwischen den Zeilen herüberkam: In dem Abschlussstatement nach Selenskijs Gesprächen mit NATO-Generalsekretär Mark Rutte, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa hieß es nur noch, es müsse die Souveränität – also die Existenz der Ukraine als Staat – und die Sicherheit des Landes gewährleistet sein.
Von territorialer Integrität war nicht mehr die Rede. Robbt sich da die EU millimeterweise an die Erkenntnis heran, dass Kiew wahrscheinlich um Gebietsabtretungen an Russland nicht herumkommen wird, wie es auch im US-Plan vorgesehen ist. Zumal die New York Times (NYT) am Dienstag Trump zitierte, der »etwas enttäuscht« darüber sei, dass Selenskij seinen Vorschlag »noch nicht gelesen hat«. Weshalb dieselbe Zeitung am Wochenende vermutlich auch eine Recherche darüber unter die Leute gebracht hatte, dass Selenskij persönlich institutionelle Vorsorgeregeln gegen Korruption außer Kraft gesetzt und die Einführung von neuen verhindert habe. Mit anderen Worten: Laut NYT steckt der ukrainische Präsident mitten drin im Kiewer Korruptionsskandal. So kocht man jemanden weich.
Sollte die Interpretation mit dem sich in winzigen Schritten in die EU-Statements einschleichenden Realismus stimmen, muss man jedoch auch sagen, dass sich dadurch an den Absichten Brüssels nichts geändert hat. Ziel sei »eine starke Ukraine auf dem Schlachtfeld und am Verhandlungstisch«. Auf dem Schlachtfeld? Sollte es nicht um einen »gerechten und dauerhaften Frieden« gehen? War wohl alles nicht so ernst gemeint, oder vielmehr: Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert, und der »Frieden« wird mit so vielen Attributen und Anforderungen ergänzt, dass er so schnell ohnehin nicht kommt. EU-Ratspräsident Costa erklärte nach dem Treffen mit Selenskij, die Sicherheit der Ukraine müsse langfristig gesichert sein, und zwar nicht einfach so, sondern ausdrücklich »als erste Verteidigungslinie für unsere Union«. Wie schön, dass sich der Portugiese aus dem Land der – um im Bild zu bleiben – letzten »Verteidigungslinie« der Union so um die erste sorgt.
Und wenn die Ukraine dabei doch versagt? Dann will die »Koalition der Willigen« sogenannte Stabilisierungstruppen dorthin schicken, und dabei darf nach dem CSU-EU-Politiker Manfred Weber ein deutsches Kontingent nicht fehlen. Das hätten sich auch der Franz Josef Strauß selig und Helmut Kohl so gewünscht, so Weber. Darüber braucht man nicht zu streiten. Aber muss dieser Wunsch den heutigen jungen Deutschen Befehl sein? Das ist doch sehr die Frage.
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