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Aus: Ausgabe vom 02.12.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Konflikt im Maghreb

Kampf ums Menschenrecht

In Paris fand vor dem Hintergrund einer zugespitzten internationalen Lage die 49. Westsahara-Konferenz Eucoco statt
Von Jörg Tiedjen, Paris
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Freiheit für die Westsahara: Teilnehmende der Eucoco demonstrieren am Sonnabend in Paris

Die westlichen Staaten glauben, sie herrschten wie zu Zeiten des Kolonialismus über die Welt und könnten nach Gutdünken handeln. Insbesondere für die USA spielen die Prinzipien von Menschen- und Völkerrecht keine Rolle mehr. So ließe sich zusammenfassen, wie die gegenwärtige politische Situation auf der 49. Europäischen Koordinierungskonferenz für die Solidarität mit dem sahrauischen Volk (Eucoco) in Paris eingeschätzt wurde. Die Teilnehmer kamen am Freitag und Sonnabend an symbolträchtigen Orten zusammen: in den Räumen der französischen Nationalversammlung, sodann dem Gewerkschaftszentrum »Bourse de Travail«. Denn Frankreich hat durch seine engen Beziehungen zur marokkanischen Monarchie eine besondere Verantwortung für den Westsahara-Konflikt. Auch ist man sich einig, dass zu seiner Lösung ein breites Bündnis von Parteien, Gewerkschaften, Menschenrechts- und weiteren Organisationen erforderlich ist.

Als die Eucoco vergangenes Jahr aus Anlass des 50. Jubiläums der Nelkenrevolution in Lissabon tagte, hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) gerade in letzter Instanz drei wegweisende Urteile gefällt. Sie betreffen zwischen der EU und Marokko getroffene Handels- und Fischereiverträge. Deren Gültigkeit erstreckte sich auch auf die Westsahara, von der Marokko zwei Drittel besetzt hält. Der EuGH entschied jedoch, dass dafür das Einverständnis des sahrauischen Volkes erforderlich ist, das von der Befreiungsfront Polisario repräsentiert wird. Auch setzte er fest, dass Waren aus der Westsahara nicht mehr als »marokkanisch« bezeichnet werden dürfen. Doch im Fahrwasser des inzwischen erneut ins US-Präsidentenamt gewählten Donald Trump sieht sich die EU anscheinend nicht mehr an ihre eigene Rechtsprechung gebunden.

Besetzung anerkannt

Trump hatte sich am Ende seiner ersten Amtszeit 2020 hinter Rabat gestellt und Marokkos Ansprüche auf die Westsahara anerkannt. Im Gegenzug normalisierte das nordafrikanische Königreich seine ohnehin guten Beziehungen zu Israel. Für die Sahrauis soll demnach lediglich eine »Autonomie« unter marokkanischer Hoheit vorgesehen sein. In seiner zweiten Amtszeit will Trump das Vorhaben nun durchdrücken. Der erste Versuch war die jährliche Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die Verlängerung des Westsahara-Einsatzes Minurso. Diese »Blauhelmtruppe« hat offiziell den Auftrag, ein Unabhängigkeitsreferendum unter den Sahrauis durchzuführen.

Nach Trumps Plan sollte das Minurso-Mandat nur noch für wenige Monate verlängert werden. Zugleich sollte das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis ein für allemal zu den Akten gelegt werden. Die USA durften als »Penholder« den Resolutionsentwurf selbst formulieren. Die Abstimmung fand am 31. Oktober statt. Doch vorher war der vorgelegte Text insbesondere auf Druck Russlands, Chinas, Pakistans und Algeriens abgewandelt worden. So wurde die Minurso erneut um ein Jahr verlängert. Vor allem aber wurde das Recht der Sahrauis auf ein Unabhängigkeitsreferendum auch in dieser Resolution bestätigt.

Als ob das Selbstbestimmungsrecht bereits begraben wäre, hatte die EU Anfang Oktober ein neues Handelsabkommen mit Marokko abgeschlossen. Wieder soll sich dessen Gültigkeit auch auf die Westsahara erstrecken. Die vom EuGH festgesetzte Kennzeichnungspflicht will sie dadurch umgehen, dass Waren aus der Westsahara eine Aufschrift erhalten, nach der diese aus »Laâyoune-Sakia El Hamra« oder »Dakhla-Oued Eddahab« stammen. Das sind die Namen der Provinzen, in die Rabat das besetzte Gebiet eingeteilt hat. Das EU-Parlament wurde nicht konsultiert, sondern bewusst umgangen.

Bauern wehren sich

Eine Mehrheit der EU-Abgeordneten wollte sich das aber nicht gefallen lassen. Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) brachte einen Antrag im Parlament ein, um die neue Kennzeichnungsregel zu kippen. Über die Eingabe wurde vergangenen Mittwoch abgestimmt. Erforderlich war eine Zweidrittelmehrheit. Das Ergebnis: Nur eine einzige Stimme fehlte, und der Antrag wäre durchgekommen. Eine große Mehrzahl der Abgeordneten hatte also gegen die EU-Kommission votiert.

Auch die französische Bauernvereinigung Confédération paysanne (CP) wehrt sich gegen das Vorgehen der EU-Kommission. Ebenfalls am Mittwoch blockierten Bauern im französischen Perpignan ein Verteilzentrum, in dem Tomaten, Melonen und andere Produkte aus der Westsahara als vermeintlich marokkanische Ursprungswaren umgeschlagen werden. CP-Vertreterin Claude Girod betonte auf der Eucoco: »Landwirte müssen von ihrer Arbeit leben können.« Das werde aber durch das Abkommen mit Marokko schwierig. Denn das Königreich bringe Erzeugnisse aus der Westsahara zu Tiefstpreisen auf den Markt. Eine Ankündigung auf der Eucoco war entsprechend, dass im kommenden Jahr eine Boykottkampagne starten soll.

Wie sehr sich die politische Lage zuspitzt, wurde auch daran deutlich, dass mehreren algerischen Delegierten, die an der Eucoco teilnehmen wollten, die Visa verweigert wurden. Hintergrund dürfte der jüngste, von der französischen Rechten losgetretene Streit mit Algier sein. Sie betreibt eine revanchistische Politik gegenüber der früheren französischen Kolonie Algerien, deren Verlust sie bis heute nicht überwunden hat. Eucoco-Präsident Pierre Galand brachte es auf den Punkt, als er zum Zusammenhang zwischen dem Kampf um die Westsahara und den sozialen und politischen Auseinandersetzungen in der EU sagte: »Wenn die Sahrauis siegen, siegen auch wir.«

Hintergrund: Westsahara und Palästina

Nach einem Wort von Marx ereignet sich Geschichte zweimal: erst als Tragödie, dann als Farce. So war es, als der UN-Sicherheitsrat am 31. Oktober über die Verlängerung des Mandats für die Westsahara-»Blauhelmtruppe« Minurso abstimmte. Schon kurz darauf strahlte das marokkanische Fernsehen eine Rede König Mohammeds VI. aus, in der dieser seinem »lieben Volk« verkündete, die UNO habe soeben beschlossen, dass die Westsahara in Zukunft als »autonomes Gebiet« zu Marokko gehöre. Die gleiche Botschaft war wenig später auch in Deutschland aus fast allen Medien zu vernehmen.

Allerdings soll die Rede des Königs bereits einen Tag zuvor aufgezeichnet worden sein, im Glauben, dass sich am von den USA vorgelegten Resolutionsentwurf schon nichts Wesentliches ändern werde. Das war aber nicht der Fall. Tatsächlich war die Vorlage in langen Diskussionen unter den Sicherheitsratsmitgliedern in entscheidenden Punkten überarbeitet worden und hält in ihrer Endfassung das Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung aufrecht. Der marokkanische Plan einer Autonomie der Westsahara soll lediglich Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen sein. Schlimm genug, aber doch etwas anderes, als von dem marokkanischen Monarchen und den westlichen Medien verbreitet wurde.

Doch die Tragödie ist mit der Farce nicht aus der Welt. Ein halbes Jahrhundert ist es diesen Herbst her, seit sie an Fahrt aufnahm. Mitte Oktober 1975 hatte der Internationale Gerichtshof ein Gutachten veröffentlicht, in dem alle historischen Ansprüche Marokkos auf die Westsahara zurückgewiesen wurden. Das hinderte den damaligen marokkanischen König Hassan II. allerdings nicht daran, unmittelbar im Anschluss in einer Rede im Rundfunk das genaue Gegenteil zu behaupten: dass der Haager Gerichtshof die Zugehörigkeit der Westsahara zu Marokko bestätigt habe.

Vor diesem Hintergrund rief Hassan II. sodann zum »Grünen Marsch«, bei dem Zehntausende Marokkaner die Grenze zur Westsahara überschritten. Mit ihm sollte das von Spanien kolonisierte und am Ende unter Wahrung der ökonomischen Interessen Madrids aufgegebene Gebiet symbolisch »ins Königreich heimgeholt« werden. Doch unbemerkt von den Hunderten Journalisten, die zu dem Spektakel anreisten, waren marokkanische Truppen zu dem Zeitpunkt bereits in die Westsahara eingefallen, wobei sie Napalm und Phosphorbomben gegen flüchtende Sahrauis einsetzten. Diese sprechen auch nicht von einem »Grünen«, sondern vom »Schwarzen Marsch« – einer Katastrophe wie der palästinensischen Nakba. Darauf verwies auf der Eucoco ein Teilnehmer aus der Westsahara: »Man kann nicht Sahraui sein, ohne für Palästina zu sein.« (jt)

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