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Aus: Ausgabe vom 26.11.2025, Seite 11 / Feuilleton
Nachruf

Im Überall

Dem Liedermacher Reinhold Andert zum Abschied
Von Hartmut König
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»Ich lobe die Heimat bei Fremden / leise, sie braucht keinen Applaus. / Und wenn ich dafür keinen Preis krieg, / dann fahr ich halt wieder nach Haus.« – Reinhold Andert (1973)

Lieber Reinhold,

zufällig trafen wir uns 1972 vor meiner Haustür in der Schönhauser Allee und gingen auf ein paar Kurze hinauf. Du sagtest, Wodkatrinken ohne Liedermachen sei Saufen. Nicht ohne Hintersinn, denn wie der Dichter KuBa zu den III. Weltfestspielen 1951 hattest Du für das bevorstehende X. Festival die Leitung einer Arbeitsgruppe zur Schaffung neuer Songs übernommen, und der Ertrag war noch mäßig. Also sangst Du auf eine neue Melodie von Wolfram Heicking die erste Zeile. Sie sollte die wichtigste des Liedtextes werden, der in dieser Nacht entstand: »Wir sind überall auf der Erde«. Aus ihr sprach Dein Internationalismus. Wie unverrückbar unsere Sache in diesem Überall ankern würde, hing auch von den Entwicklungen des Realsozialismus ab. Deine Lieder, das waren kritische Erkundungstouren in den Lebensalltag der Menschen. Wenn etwas aufzuspießen war, trugen Deine Pfeile kein Gift, sondern Vorschläge zur Optimierung.

Weißt Du noch, wie wir manchmal über unsere Konvertitenbruderschaft witzelten? Du, der Exkatholik, und ich, der Exprotestant, im Oktoberklub glücklich eingefangen von der Welt der roten Lieder. Das waren unorthodoxe Wege gewesen. 1944 im heutigen Teplice geboren und in Sömmerda aufgewachsen, hattest Du ein bischöfliches Vorseminar besucht, irgendwo gelernt, wie man Orgeln baut, dann aber über das Studium der Geschichte und Philosophie zum Marxismus gefunden. Ich hatte mich nach der Einsegnung von den nihilistischen Ansichten meines Pfarrers in Richtung FDJ abgesetzt.

Unsere Handschriften beim Liederschreiben waren unterschiedliche, unsere politischen Ansichten nie. Das begründete unsere Freundschaft und ließ sie halten. Um Deinen trefflichen Umgang mit Widersprüchen des Alltags, wofür Du den Begriff »DDR konkret« prägtest, habe ich Dich beneidet. Ich denke an Dein Lied »Blumen für die Hausgemeinschaft«, in dem sich die Sängerfigur über die abendliche Unauffindbarkeit seiner Nachbarn wundert. Aber der NVA-Major ist gar nicht wegen weltpolitisch finsterer Verwicklungen in der Kaserne geblieben, der Konsum-Funktionär nicht abgetaucht, um heimlich Westfernsehen zu schauen, der Hausvertrauensmann nicht vor dem Vertrauen von Fräulein Krüger geflüchtet. Sie haben in Abwesenheit des sich nun schämenden Sängers ihre Prämie beim Nationalen Aufbauwerk verprasst. Oder: Wenn ich das »Vaterlandslied« wieder höre, liegt mir Deine große Hoffnung wie Blei auf der Seele: »Kennst du das Land, wo die Fabriken uns gehören / wo der Prometheus schon um fünf aufsteht? (…) Ich möchte dieses Land niemals verlieren, es ist mein Mutter- und mein Vaterland.«

1980 traf Dich eine obskure, in Parteikreisen gesponnene Intrige. Man schmiss Dich aus der SED. Du warst am Boden zerstört, sahst einstige Freunde die Straßenseite wechseln. In der kleinen Tagesbar an der Leipziger Straße hast Du versprochen, mit dem Parteibuch nicht Deine Gesinnung abzugeben. Du hieltest Dich daran, als Veranstalter Dich auslisteten, aber eine Familie zu ernähren war. Und auch später, als sich die Probleme in der DDR dramatisch zuspitzten. Dein Ton rauhte sich auf, Du fordertest als Sozialist eine Demokratisierung der Gesellschaft, sprachst wider die Starre des versinkenden Landes. Aber wo es anderen opportun erschien, die Seite zu wechseln, hast Du Dich nicht verkauft. Im »Sängerkrieg« heißt es: »Heute noch singen Kollegen / beim Fremdgehen gerne auf Knien / für ein paar fremde Münzen / und Plätze an Akademien. // Ich lobe die Heimat bei Fremden / leise, sie braucht keinen Applaus. / Und wenn ich dafür keinen Preis krieg, / dann fahr ich halt wieder nach Haus.« Zurecht beklagtest Du den Umgang der Modrow-Regierung mit dem entmachteten Erich Honecker. Ich fand es anständig, wie Du Dich um ein Domizil für ihn und seine Frau gekümmert hast. Gespräche mit dem Gestürzten, die Du mit Wolfgang Herzberg veröffentlicht hast, las ich mit Interesse.

Inzwischen hatte sich der Westen rübergeschoben, und neue Publikationen von Dir waren zu haben. Der Spott über die »VIPs der Wendezeit« (»Unsere Besten«) zum Beispiel oder das amüsante Gedankenspiel, was gewesen wäre, wenn wir einen Siegeszug des Sozialismus in Westdeutschland erlebt hätten (»Rote Wende«). Vielleicht war manches mit zu heißer Nadel gestrickt, aber Du bliebst alle Zeit von relevanten Zeitzeichen elektrisiert. Du korrigiertest Dich auch. Neulich schriebst Du Egon Krenz, wie sehr Dich die landesweite Sympathie freue, die ihm wegen seiner biographischen Notizen entgegengebracht wird. Er kann Dir nun nicht mehr antworten.

Ach Reinhold, meine Traurigkeit vibriert in zwei Wörtern: Du fehlst!

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