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Aus: Ausgabe vom 25.11.2025, Seite 6 / Ausland
Kolumbien

Rückkehr zur Repression

Kolumbien: Soziale Proteste kriminalisiert, Minderjährige bei Angriffen der Armee auf bewaffnete Gruppen getötet. Kritik an Präsident Petro
Von Nils Heidenreich, Bogotá
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Erstmals seit dem Amtsantritt 2022 ist Petro in diesem Jahr mit sozialen Protesten konfrontiert (Bogotá, 17.10.2025)

Um drei Uhr morgens wird die Tür von Camilo im Randbezirk Usme der Millionenmetropole Bogotá von einem Polizeikommando aufgebrochen. Der Vater von drei Kindern wird in deren Anwesenheit und vor den Augen seiner Frau festgenommen. Der Familienvater ist einer von insgesamt elf am vergangenen Donnerstag Festgenommenen, denen im Zusammenhang mit Uniprotesten schwerste Straftaten vorgeworfen werden, darunter illegale Nutzung von Sprengstoff, unerlaubter Waffenbesitz, schwere Brandstiftung und Terrorismus. Im Oktober hatten soziale Gruppen die größte Universität Bogotás und verschiedene Regierungsgebäude besetzt.

Neben Camilo, der in einem während des Nationalstreiks 2021 entstandenen Stadtteilkollektiv aktiv ist und an einem Buch über die Proteste und deren sozialen Kontext mitarbeitete, traf es auch Mitglieder alternativer Medien und studentischer Organisationen, wie jW von einem Betroffenen erfuhr – allesamt aus dem armen Süden der kolumbianischen Hauptstadt. Besorgniserregend ist, dass viele der in den frühen Morgenstunden Festgenommenen erst nach mehr als zwölf Stunden in die zentrale Sammelstelle zur Identitätsüberprüfung überstellt wurden und sich in der Zwischenzeit weder mit ihren Anwälten noch mit ihren Familien in Verbindung setzen durften. Dies würde die Festnahmen eigentlich rechtlich unzulässig machen, doch der betreuende Richter, der bereits in einem anderen Fall wegen Pressezensur kritisiert wurde, konnte an diesem Umstand nichts Gesetzeswidriges erkennen.

Die Kriminalisierung sozialer Proteste ist in dieser Form keine neue Erscheinung in Kolumbien. Die Repression der rechten Vorgängerregierungen wurde unter dem progressiven Präsidenten Gustavo Petro jedoch der Vergangenheit zugerechnet. Zumindest der Diskurs der Verantwortlichen war bisher von Respekt und Anerkennung für die sozialen Bewegungen geprägt, die ihnen 2022 den Weg zur stärksten Partei im Parlament und zur ersten linken Präsidentschaft bereitet hatten.

Im Laufe der Regierungszeit musste Petro angesichts einer weiterhin politisch dominanten Rechten zentrale Wahlversprechen, wie das Ziel eines »totalen Friedens« aufgeben. Bei Luftangriffen und Aktionen der Armee gegen bewaffnete Gruppen wurden seit August mindestens 15 Minderjährige getötet, das jüngste Todesopfer war 13 Jahre alt. Laut dem Präsidenten wurden sie von der Gruppe Estado Mayor Central (EMC) von Iván Mordisco als Soldaten zwangsrekrutiert. Der EMC hatte sich von der linken Guerilla FARC-EP infolge des mit Bogotá geschlossenen Friedensabkommens 2016 wegen dessen Nichteinhaltung durch die Regierungsseite abgespalten. Allein bei einem Angriff am 10. November wurden sieben Kinder und Jugendliche getötet. Der Präsident weist der Gruppe, der unter anderem Drogenhandel und die Tötung indigener Aktivisten vorgeworfen werden, die Verantwortung dafür zu.

Petro und sein Verteidigungsminister Pedro Sánchez rechtfertigten die Angriffe in einer Rhetorik, die an alte Zeiten erinnert. Der frühere Guerillero hatte Bombardements vor seinem Amtsantritt heftig kritisiert. Sein Vorgehen im aktuellen Fall rechtfertigte er zunächst mit Unwissen über die Präsenz von Minderjährigen. Sie haben zu einer Gruppe von 150 Personen gehört, die laut Petro 20 Soldaten angreifen wollte. Der Angriff sei völkerrechtskonform gewesen – was wiederum von Experten zurückgewiesen wurde. Da es vor dem Luftangriff zu keinen unmittelbaren Kampfhandlungen gekommen war, gelten Minderjährige unter 15 Jahren nicht als Kombattanten im Sinne des Völkerrechts.

Menschenrechtsorganisationen wie das Comité Permanente por la Defensa de los Derechos Humanos und auch Abgeordnete der Regierungskoalition weisen darauf hin, dass die jüngsten Ereignisse eine radikale Umkehr in der Politik Petros in Menschenrechtsfragen und im Umgang mit Protesten markieren. Insbesondere der Umstand, dass die jüngsten Opfer dieses Kurswechsels zum einen Minderjährige aus armen Regionen des Landes und zum anderen Aktivisten aus den marginalisierten Zonen der Hauptstadt sind, zeigt, dass Petro zunehmend eine Sicherheitspolitik fährt, die jener der Oligarchen des Landes gleicht.

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