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Aus: Ausgabe vom 20.11.2025, Seite 2 / Ansichten

Die Köpfe drillen

Militarisierung von Alltag und Alltagsdenken
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Deutschland, mein Sparta. Wenn es nach den Sachwaltern des militärisch-industriellen Komplexes geht zumindest. Längst ist den nachdenkenden Vordenkern nahegegangen, was ihnen einst ferngelegen habe. Kriegstüchtigkeit bedeutet nicht nur Hochrüstung, Rückkehr zur Wehrpflicht und Aufstocken des zivilen Unterbaus. Sie bedeutet auch, den Alltag durchzumilitarisieren, die Schaffung eines bellizistischen Konsens in der Bevölkerung, wofür die Bundeswehr mittlerweile Brückenköpfe in Schulen bildet und mit inhaltsbefreiter Kinowerbung die Ego-Shooter-Kohorte der wehrfähigen Jugend adressiert.

Zu verlangen, was längst angelaufen ist, erledigen hochrangige Offiziere. Zum Beispiel während der Berliner Sicherheitskonferenz. Dort forderte laut tagesschau.de der NATO-General Ingo Gerhartz nicht weniger als »Deutschland« zu »verstärkten Anstrengungen für die Abschreckung eines möglichen russischen Angriffs« auf. Hierfür sei eine »Stärkung der Verteidigungsbereitschaft in der gesamten Gesellschaft unabdingbar«. Dass im Vorbeigehen Gefahr und Möglichkeit eines russischen Angriffs vorausgesetzt wird, ist ebenso Element der mentalen Militarisierung, wie es wider die Sachlage steht. Einer Greenpeace-Studie vom November 2024 zufolge übersteigt das militärische Vermögen der NATO-Länder auch abzüglich der USA das der russischen Streitkräfte bei weitem, und zwar hinsichtlich Militärausgaben, Truppenstärke, Großwaffensystemen, Mobilisierung und rüstungsindustriellem Unterbau. Sachverhalte, die Gerhartz nicht interessieren: »Deutschland als Ganzes hat noch nicht die strategische Reife erreicht, die in unserer Zeit erforderlich ist.«

Teil der Militarisierung ist auch das Stadtbild, zu dem mittlerweile militärische Einsatzübungen gehören. Das dieser Tage durchgeführte »Bollwerk Bärlin« ist ein Häuserkampfmanöver, von dem die Onlineplattform Soldat & Technik weiß: »Enge Straßen und hohe Gebäude sorgen für schlechte Sicht- und Funkverbindungen.« Das ist zwar Quatsch, weil Berlin für eine Metropole vergleichsweise flache Bauten und weite Straßen hat, doch wenn es der Wehrertüchtigung dient, darf eins und eins gern mal drei sein.

Eine seltene Frucht der Militarisierung des einfachen Bürgers serviert derweil die Berliner Morgenpost. Peinliches sagt sich leichter ironisch, so schreibt ein »Kasupke« in kugelsicherem Berlinisch: »Ick sach ma: Vorbereitet sein is anjesichts der Sichaheitslage imma jut – und die üblichen Kriminelln wird der Anblick der Soldaten hoffentlich ooch abschrecken.« (fb)

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