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Aus: Ausgabe vom 12.11.2025, Seite 2 / Inland
Militarisierung der Infrastruktur

Was will die Bundeswehr von den Krankenhäusern?

Gegen die Einmischung des Militärs an den Kliniken braucht es noch mehr Widerstand, erklärt Nadja Rakowitz
Interview: Gitta Düperthal
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Am vergangenen Wochenende wurde beim gesundheitspolitischen Forum des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte in Dresden über die schleichende Militarisierung des Gesundheitswesens diskutiert. Wie weit sind diese Bemühungen bereits fortgeschritten?

Der Versuch, das Gesundheitswesen »kriegstüchtig« zu machen, ist noch nicht überall in der BRD unternommen worden. Als erstes Bundesland erstellte Berlin einen Rahmenplan für »zivile Verteidigung« von Berliner Krankenhäusern. Dieses 28seitige Arbeitspapier, von der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr, der Berliner Krankenhausgesellschaft und zwölf Berliner Kliniken aufgesetzt, wurde zunächst geheimgehalten, dann aber auf der Seite »Frag den Staat« geleakt. Darin geht es um die Frage: Was muss gemacht werden, um Patientinnen und Patienten im Kriegsfall zu versorgen?

Was ist daran aus Ihrer Sicht problematisch?

Insbesondere finden wir besorgniserregend, dass eine »umgekehrte Triage« erwogen wird: Militärpersonal soll vor zivilen Erkrankten Vorrang bekommen, damit es schnell wieder an der Front einsetzbar ist. Überlegt wird, wie man die Bevölkerung darauf vorbereiten kann, dass sie hintanstehen muss, weil das Militär zuerst versorgt werden muss. Davon war bereits im »Grünbuch Zivil-Militärische Zusammenarbeit (ZMZ) 4.0« die Rede. Im Berliner Rahmenplan wird in dem Zusammenhang das Sterbenlassen »hoffnungsloser« Patientinnen und Patienten angesprochen. Das Auftauchen akut erkrankter Menschen aus Pflegeeinrichtungen in Notfallambulanzen ist als Störfaktor benannt. Erwogen wird, längerfristig medizinisch notwendige elektive Eingriffe wie etwa Hüftoperationen einzustellen oder zu verschieben. Verschleiernd heißt es: Individualmedizin müsse auf Katastrophenmedizin umgestellt werden. Ziel ist aber, die medizinische Versorgung militärischen Kriterien zu unterwerfen.

Wie genau ist die Militarisierung geplant?

Boris Augurzky, der die Bundesregierung zur Krankenhausreform beraten hat und immer vorne dran ist, den Krankenhausbetrieb zu ökonomisieren, springt auf den Kriegszug auf. Das System ist pervertiert: Oberirdisch betreibt man Bettenabbau, will Hunderte Krankenhäuser schließen, unterirdisch aber mit Milliarden OP-Säle und Bettenkapazitäten aufbauen. So will man an den unbegrenzten Finanztopf für Verteidigung und Aufrüstung ran.

Nimmt die Bundeswehr Kontakt zu Krankenhäusern auf?

Statt sich darum zu kümmern, dass die Krankenhausversorgung bedarfsgerecht und beschäftigtenfreundlich wird, macht die Deutsche Krankenhausgesellschaft systematisch Pläne, wie etwa Chirurgen in Kriegschirurgie auszubilden. »Terror and Disaster Surgical Care« nennt sich das. Aktuell ist noch unklar, wie solche Weiterbildungen flächendeckend finanziert werden sollen. An ersten Krankenhäusern in Berlin ist die Bundeswehr mit Veranstaltungen präsent. Studierende verließen diese aus Protest: »Dabei machen wir nicht mit«.

Wie wurde auf die Verweigerung reagiert?

Soweit ich weiß, nimmt man es hin. Offenbar ist die Devise: Am besten nicht thematisieren, damit über den Widerstand nicht öffentlich debattiert wird. Genau deshalb reden wir darüber. Niemand sollte an so einer Fortbildung teilnehmen.

Hat die Organisierung des Gesundheitspersonals gegen die Militarisierung also begonnen?

Mit Michael Quetting, ehemals Verdi-Sekretär in Saarbrücken, Karen Spannenkrebs und Annebirth Steinmann, beide vom VDÄÄ* Hamburg, diskutierten wir zur Antikriegspolitik: Wie können wir an Krankenhäusern Antikriegsgruppen installieren und organisieren, dass Menschen in Gesundheitsberufen zum Beispiel die Unterschriftenliste der IPPNW-Kampagne für ziviles Gesundheitswesen unterzeichnen? Vermeintliche Vorbereitung auf Verteidigung heißt, den Krieg vorzubereiten. Dies gilt es aber unbedingt zu verhindern. Der Ärzteschaft würde es gut anstehen, es zu skandalisieren, wenn aktuell die Genfer Konvention dauernd verletzt und in Kriegen Krankenhäuser angegriffen werden. Ihr Einsatz muss dem Schutz der Zivilbevölkerung gelten. Wir sollten den Frieden gewinnen, nicht den Krieg.

Nadja Rakowitz ist Medizinsoziologin und leitet die Geschäftsstelle des VDÄÄ* Den Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte wird sie in der Podiumsdiskussion auf der 31. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar in Berlin vertreten

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