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Aus: Ausgabe vom 11.08.2025, Seite 2 / Inland
Militarisierung der Infrastruktur

»Investitionen folgen Kriegsszenarien«

Berlin: Wie tief die Bundeswehr schon im Gesundheitswesen steckt, will der Senat nicht transparent machen. Ein Gespräch mit Alexander King
Interview: Marc Bebenroth
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Simuliert: Der Sanitätsdienst der Truppe dürfte im Ernstfall mit den zu erwartenden hohen Opferzahlen überfordert sein. Übung in Litauen (Pabradė, 29.5.2024)

In Vorbereitung der direkten Konfrontation mit Russland hat die NATO-Kriegsallianz sogenannte Resilienzziele für Investitionen in Infrastruktur formuliert. Weshalb gehen Sie davon aus, dass das auch Folgen für die Finanzen und die Politik des Landes Berlin hat?

Diese Ziele sind 2023 bei einem NATO-Treffen in Riga beschlossen worden. Der Teil zur Umsetzung ist bis heute geheim, seine Existenz wurde nur durch einen parlamentarischen Vorgang in den Niederlanden bekannt. Allgemein geht es bei diesen Resilienzzielen um die gesamte Infrastruktur. Die soll fit gemacht werden für den Fall eines Kriegs gegen Russland. Unter anderem ist dabei auch die Rede davon, wie zum Beispiel die Versorgung von Verletzten organisiert wird.

Was bedeuten diese Vorgaben für Berlin?

Ein konkretes Beispiel ist der Rahmenplan »Zivile Verteidigung Krankenhäuser«. Den hat Gesundheitssenatorin Ina Czyborra von der SPD am 17. Juli vorgestellt. Er wurde vom Senat in Absprache mit der Bundeswehr entwickelt. Wenn sie die Krankenhäuser kriegstüchtig machen wollen, dann wirkt sich das auf die Schwerpunktsetzung bei Investitionen des Landes Berlin aus. Da habe ich mir die Frage gestellt, inwiefern die Bundeswehr da hineinregiert. Der Rahmenplan wurde zwar öffentlich vorgestellt, aber nur in Form von Eckpunkten. Es ist derzeit nicht angedacht, uns Abgeordneten Einsicht in die Gesamtplanung zu gewähren.

Wie wird das begründet?

Gar nicht, aber ich habe in einer schriftlichen Anfrage, die jetzt noch beim Senat liegt, danach gefragt. Zumindest Abgeordnete – wenn es nach mir geht, die ganze Öffentlichkeit, – müssen darüber informiert werden. Aber wenn das nicht passiert, muss der Senat erklären, warum.

Ihre Anfrage zu den Resilienzzielen hat der Senat Ende Juli beantwortet, ist auf ihre Fragen aber nicht eingegangen. Es wird auf die Zuständigkeit des Bundes verwiesen, als Land sei man ausführende Instanz. Was entnehmen Sie dem Schreiben?

Hier wird versucht, den Eindruck zu vermitteln, mit der Sache nichts zu tun zu haben. Das finde ich schon ziemlich unverschämt. Selbstverständlich wird die Senatsverwaltung stark involviert sein, wenn es zum Beispiel um die Krankenhäuser geht. Es dürfte sich lohnen, noch mal kritisch nachzuhaken.

Zu welchen Punkten?

Wie tief die Bundeswehr im Berliner Kliniksektor hängt, ist bislang noch nicht transparent. Aber es liegt auf der Hand, dass die Bundeswehr beim Management der Beschaffungen und bei der Schwerpunktsetzung von Investitionen ein wichtiges Wörtchen mitzureden hat. Czyborra hatte davon gesprochen, dass Berlin eine Drehscheibe für Personal und Material für die sogenannte NATO-Ostflanke sein soll. Bei der Vorstellung des Rahmenplans war die Rede von 100 zusätzlichen Verletzten pro Tag in den Berliner Krankenhäusern im Ernstfall. Das ist gelinde gesagt sehr konservativ kalkuliert. Es werden vielleicht eher Tausende pro Tag.

Sollten zum Beispiel Klinikbetreiber auf neue Mittel verzichten, weil die Ausgaben mit »Kriegstauglichkeit« begründet werden?

Ob Krankenhäuser, Verkehrswege oder andere notwendige Infrastruktur: Der Zustand ist teilweise erbärmlich. Gleichzeitig wollen die Regierungen das Land kriegstüchtig machen. Das lässt befürchten, dass alles auf eine völlig falsche Schwerpunktsetzung hinausläuft und sich staatliche Investitionen nicht mehr am Bedarf der Bevölkerung, sondern an Kriegsszenarien und Planspielen orientieren. Deshalb war es so katastrophal, als Die Linke im Bundesrat dem ganzen neuen Investitionspaket der Bundesregierung, inklusive Aufrüstungsprogramm, zustimmte.

Welche Alternativen sehen Sie?

Wir haben am Gesundbrunnen die erste Fabrik, die jetzt von Autozubehör auf Waffenherstellung wechselt. Wo ist der große, laute Widerstand der Gewerkschaften? Es wurde lange Zeit auf Teufel komm raus gekürzt. Das findet weiterhin statt, nicht nur in Berlin. Aber jetzt wird zur Kriegsvorbereitung Geld mit vollen Händen ausgegeben. Das sollte nicht dazu verleiten, sich darüber zu freuen, dass endlich investiert wird. Es braucht schließlich nicht den heraufbeschworenen »Russen vor der Tür«, um zum Beispiel in die Krankenhäuser zu investieren. Wir hatten auch Zeiten gesunder ziviler Infrastruktur ohne Kriegsvorbereitungen im Hintergrund.

Alexander King (BSW) ist Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin

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