Russische Propagandisten vor Berlin
Von Arnold Schölzel
Der in Potsdam lehrende Militärhistoriker Sönke Neitzel hat das Buch »Die Bundeswehr. Von der Wiederbewaffnung bis zur Zeitenwende« vorgelegt (siehe Besprechung in jW vom 28. April). Die Taz veröffentlicht aus diesem Anlass am Freitag auf zwei Druckseiten ein Wohlfühlinterview mit Neitzel. Überschrift in der Druckfassung: »Vielleicht ist es der letzte Sommer in Frieden«. Im Internet: »Wir brauchen als Republik einen demokratischen Krieger«.
Die von der Taz-Redaktion gewählte Unterüberschrift steht dem Schwachsinn vom demokratischen Kriegführen nicht nach: »Deutschland ist wehrunfähig – und zugleich in Gefahr. Im Gespräch fordert der Militärhistoriker Sönke Neitzel einen verpflichtenden Wehrdienst, Aufrüstung und Mut zur Wahrheit: Frieden gibt’s nicht zum Nulltarif.« Der Professor, der einst 15 Monate Wehrdienst abriss, geht mit gutem Beispiel bei der nationalen Kraftanstrengung voran: »Und ich wäre auch heute wieder bereit, einen Dienst an der Waffe zu leisten.« Neitzel ist Jahrgang 1968, also im besten BRD-Rekrutenalter.
Was aber sagt er jungen Menschen heute? »Bei allen Klagen ist Deutschland immer noch ein sehr attraktives Land.« Der Mann hat recht: Das sollte fürs staatlich lizensierte Töten und Getötetwerden reichen. »Mörder« wie Tucholsky will er nicht sagen, »aber die Aufgabe von Soldaten ist in letzter Konsequenz kämpfen, töten, sterben.« Dafür gibt es schließlich reichlich Zustimmung: »Nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurde die Bundeswehr positiver betrachtet. Eine hohe oder sehr hohe Meinung zur Bundeswehr haben 85 Prozent der Bürgerinnen und Bürger.« Da ließe sich annehmen, dass das reicht. Aber bevor Neitzel und die Taz-Redakteure ihre eigene Überflüssigkeit bei der Kriegsertüchtigung einräumen, stimmt Neitzel wieder das Trauerlied vom wehrlosen Deutschland an: »Wenn die Bundeswehr morgen in den Krieg ziehen würde, könnte sie wohl nur beweisen, dass sie mit Anstand zu sterben versteht.« Leider lernten Armeen »nur im Notfall«. Da schlottern die Tazler: »Was gilt denn als Notfall? Wenn Russland in der Ukraine siegen sollte?«. Auf den Unfug geht aber selbst Neitzel nicht ein: »Der Notfall wäre dann, wenn eine deutsche Brigade in den Kampf zieht.« Dann seien die Soldaten »sehr schnell tot. Dann haben wir diesen Notfall.«
Vom Schlachtfeld wechseln die Taz-Befrager da rasch zum Thema AfD: »Würden Sie eine aufgerüstete Armee einer Regierung mit einer rechtsextremen Partei in die Hand geben, die auch noch putinfreundlich ist?« Die Aufrüstung wurde soeben mit Hilfe von Bündnis 90/Die Grünen fiskalisch entgrenzt, aber das fällt in der politischen Gesäßgeographie nicht unter rechts, schon gar nicht unter Extremismus. Neitzel knurrt, ein Verbot dauere zu lange und: »Wir müssen jetzt handeln. Vielleicht ist es der letzte Sommer in Frieden.« Die große Gefahr sei, dass Putin »innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre die NATO herausfordert, etwa mit einem regional begrenzten Angriff im Baltikum.«
Das Gedöns ließe sich endlos fortsetzen. Die Taz-Leute steigern nur noch zwischendurch den Unsinn derart, dass selbst Neitzel unwirsch wird. Sie erkundigen sich ironiefrei nach einem »Durchmarsch nach Berlin, wie ihn Propagandisten im russischen Staatsfernsehen immer wieder fordern?« Neitzel: »Ich kenne keine Militärexperten, die das ernsthaft sagen. Es droht ein begrenzter Konflikt.«
Der Ertrag: Die Taz-Befrager sehen russische Propagandisten demnächst auf Berlin zumarschieren, der »Experte« verschließt davor die Augen. Dafür will er aber sofort und unverzüglich was gegen Putin tun. Deutsche Militaristen waren sich schon mal einiger. Nur die Halluzinationen ändern sich einfach nicht.
Die Taz-Befrager sehen russische Propagandisten demnächst auf Berlin zumarschieren, der »Experte« verschließt davor die Augen. Dafür will er aber sofort und unverzüglich was gegen Putin tun
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